Einleitung
Bereits zum dritten Mal fand am Wochenende vom 19. bis 20. März 2022 eine Veranstaltung des Spielentwicklers Kvltgames[1] statt. Das Unternehmen, welches eigenen Angaben zufolge „nach Maßstäben der Mainstreammedien selbstverständlich eine rechtsradikale Spieleschmiede“ sei, schart seit Frühling 2021 immer wieder Programmierer um sich, die in Kleingruppen an einem Wochenende neue Spieleideen entwickeln und entsprechende Prototypen veröffentlichen. In Anlehnung an die Praxis musikalischer Jamsessions, bei denen Künstler gemeinsam neue Stücke produzieren, laufen die (virtuellen) Treffen unter der Bezeichnung Game- oder Heimat Jam.
Der im Vorfeld online veröffentlichte Aufruf zum Treffen dürfte wie viele Angebote im Internet bundesweite Reichweite erzielen. Darüber hinaus bezog sich eines der veröffentlichten Spiele der ersten derartigen Veranstaltung im März 2021 explizit auf Dubravko Mandic, einen Rechtsextremisten aus Baden-Württemberg.[2] Daran wird deutlich: Die Spielinhalte und das Format als potenzielle Austauschplattform sind auch für die hiesige Szene relevant.
Die Spiele
Der Titel des Programmiertreffens im März 2022 lautete „Antarctica Edition“. Hier wird ein gängiges Narrativ aus der Welt der Verschwörungsmythologien bedient, nach welchem angeblich Nationalsozialisten Ende der 1930er Jahre in der Antarktis, genauer im Gebiet Neuschwabenland, militärische Stützpunkte und Rückzugsorte errichteten, an welchen sie sich bis heute gegen feindliche Aggressoren, beispielsweise aus den USA, verteidigen konnten.
Verschwörungsideologisch argumentierte Rückzugsräume von Nationalsozialisten werden inhaltlich auch in einem der veröffentlichten Spiele aufgegriffen.
[1]„Kvltgames“ ist kein Beobachtungsobjekt des Landesamts
für Verfassungsschutz Baden-Württemberg.
[2] Siehe Homepagebeitrag „Programmieren für die
Heimat“ https://www.verfassungsschutz-bw.de/,Lde/Programmieren+fuer+die+Heimat+_+Spieleentwickler+verknuepfen+technisches+Know-how+mit+rechtsextremistischer+Propaganda
Als Motto für die zu generierenden Inhalte wurde den Teilnehmern darüber hinaus der Leitsatz „Die Welt wird nie wieder dieselbe sein“ an die Hand gegeben. Im Zusammenwirken mit dem „Antarctica“-Motto kann davon ausgegangen werden, dass Spielszenarien geschaffen werden sollten, die politische Neuorganisationen, gesellschaftliche Umstürze und den gewaltsamen Widerstand gegen vermeintliche Suppressoren thematisieren.
Hierzu entwickelten 13 Programmierer insgesamt vier funktionierende Spieleprototypen, welche beispielhaft im Spiel Horus 1 mit dem Eröffnungstext eingeleitet werden, es handele sich um „kontroverse Inhalte“ die „rein als Parodie gelesen werden“ sollten.
Horus 1
Im Szenario von Horus 1 wird verklausuliert der – häufig in Film und Fernsehen satirisch dargestellte – Mythos der „Nazis auf dem Mond“ aufgegriffen. So erzählt das Textintro des Spiels zu Beginn, dass „deutsche Wissenschaftler“ während des zweiten Weltkriegs mittels eines Raumfahrtprogramms Zuflucht auf dem Mond fanden. Jene möchten den alten Heimatplaneten jedoch nicht dem „selbstzerstörerischen Charakter der Moderne“ überlassen und ab dem Jahr 2025 zur Rettung der alten Welt beitragen, woraufhin sie u.a. vom „linken Mainstream“ als „Faschisten“ und „Weiße Nationalisten“ betitelt werden. Die „Mondfaschisten“ erhalten im Jahr 2029 vom brasilianischen Präsidenten, der sein Land durch die Übergabe vor dem Untergang retten will, ein Stück Land zur Gründung einer Kolonie.
Ziel des Spiels ist es, (politische) Feinde abzuwehren und die Kolonie durch Waffengewalt zu verteidigen.
Die Feinde werden in Horus 1 als mit roten Halstüchern vermummte, regenbogenfarbene Pullover tragende und mit bunt gefärbten Haaren ausgestattete Figuren dargestellt und symbolisieren hier stark plakativ dargestellt den Stereotypen des politisch linken, LGBTQ-freundlichen Feindbilds aus Sicht von Rechtsextremisten. Diese inszenieren sich als fortschrittliche Aufgeklärte, während der politische Gegner mit progressiver Medienhetze in Form von Onlinekampagnen Stimmung gegen die selbsternannten Retter macht.
Rechtsextremisten positionieren sich als bedrohte Opfer, Gewalt wird in Form von Laserpistolen und Bomben als letztes Mittel zur Selbstverteidigung und zur Erhaltung der antiglobalistischen und antimodernistischen Weltanschauung legitimiert.
Mega Killdozer
Laut Kurzbeschreibung des Spiels, wird der Spieler dazu aufgefordert, in einer 2D-Aufsicht-Grafik einen Bulldozer durch teilverbarrikadierte Straßen zu manövrieren, um „als echter Verrücktmann“ die US-Notenbank zu zerstören. Dabei werden zivile Opfer (am Straßenrand geparkte KfZ) sowie militärische Opfer (feindliche Panzer) gezählt. Laut Startbildschirm sollen zivile Verletzte vermieden werden.
Die Optik erinnert entfernt an amerikanische Nachrichtenübertragungen polizeilicher Verfolgungsjagden. In der Headline wird von einem „crazed man“ (dt.: Verrückter/Besessener) gesprochen, welcher auf die „federal reserve“ (dt.: US-Notenbank/Landesnotenbank) zufährt. Der Nachrichtensender am unteren Bildschirmrand lautet „G.A.E. News“, welches phonetisch als „Gay News“ (dt.: schwule Nachrichten) gelesen werden kann. In der rechtsextremistischen Szene wird „schwul“ häufig als despektierliche und homophobe Bezeichnung verwendet, hier in Bezug auf staatliche Medien.
Die explizite Verwendung der US-Notenbank als legitimes Ziel gewaltorientierter Bewegungen kann im Kontext der insgesamt - mal mehr mal weniger offensichtlich - thematisierten Verschwörungsmythen innerhalb des Heimat Jams kritisch hinterfragt werden. So ist die US-amerikanische Zentralbank für die gläubige Verschwörungscommunity im Internet bereits seit Langem Ziel antisemitischer Narrative, nach welchen angeblich eine „jüdische Elite“ die wirtschaftlichen Geschicke der USA und damit der gesamten Weltökonomie leitet. Folgt man dieser Einschätzung des dargestellten Szenarios, kann man dem Spiel neben der Botschaft, es sei vollkommen legitim, staatliche Einrichtungen mit Waffengewalt anzugreifen auch einen unterschwelligen Antisemitismus unterstellen, welcher sicher nicht direkt für unpolitische Neuzugänge aber mindestens für szenekundige Klientel zur Verfestigung bereits bekannter Narrative dient.
Abholzen
Aufgabe des Protagonisten im Spiel Abholzen ist es, „lästiges Ungeziefer“ aus dem Hambacher Forst mittels Betäubungspfeilen und Zeckenspray zu vertreiben. Angesprochen wird hier thematisch die Besetzung des Hambacher Forsts in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2018 durch Klimaaktivisten, welche eine drohende Rodung durch Energie-Konzerne verhindern wollten. Die Aktion der Besetzer sowie die mediale Aufmerksamkeit, welche die Räumung der Waldcamps mit sich brachte, wurden zum damaligen Zeitpunkt auch von Rechtsextremisten im Internet abwertend aufgegriffen.
Die Grafik von Abholzen ist im Gegensatz zu den anderen veröffentlichten Spielen relativ realistisch. Auch die Waffe wirkt naturgetreuer, als es beispielsweise die Laserpistolen aus Horus 1 oder die sehr rudimentäre Flinte aus theShopKeeper (s.u.) sind. Das Setting startet vor einem Kohlekraftwerk, bevor man vom Gegner in einen Wald gejagt wird.
Im Spiel zeigt sich der Widersacher (das „lästige Ungeziefer“) in Form aggressiv auftretender Personen, welche den Spieler attackieren, sofern er es nicht schafft, mittels Abschüssen aus seinem Betäubungsgewehr und dem bereits erwähnten Abwehrspray genug Abstand zu den Angreifern zu halten. Der Terminus „Zecke“ als pejorativ genutzte Bezeichnung für politisch linksgerichtete Personen ist umgangssprachlich innerhalb der rechtsextremistischen Szene weit verbreitet und erklärt die Verwendung eines „Zeckensprays“ im Spiel. Die Verwendung eines Betäubungsgewehres sowie das hirnlos-aggressive Verhalten der Angreifer verstärken zudem den Eindruck, man habe es mit tierartigen Gegnern zu tun. Die Entmenschlichung der politischen Gegenseite dient der intellektuellen Abwertung, rationales Verhalten wird ihr abgesprochen. Gewalt als letztes Mittel zur Selbstverteidigung soll im Kontext des Gezeigten sinnvoll erscheinen.
theShopKeeper
Die Hintergrundgeschichte zum Spielszenario wird im einleitenden Text erklärt: „Wladolf Putler“ bedrohe Deutschland mit einem Bombenabwurf. Als Ladenbesitzer müsse man nun so schnell wie möglich ausreichend Geld einnehmen, um sich in Sicherheit zu bringen. Es wird ausdrücklich vor „Plünderungen der Party- und Eventszene“ gewarnt, welcher sich der Ladenbesitzer erwehren müsse. Der Begriff der „Party- und Eventszene“ leitet sich aus einer Pressemitteilung der Polizei Stuttgart ab, welche den Terminus zur Einordnung von Randalierern der Stuttgarter „Krawallnacht“ im Jahr 2020 nutzten. Gemeint waren damals vorrangig Jugendliche mit Migrationshintergrund. Der Begriff wird seither innerhalb der rechtsextremistischen Online-Community gezielt zynisch eingesetzt, wenn es um Straftaten unter potenzieller Beteiligung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte geht.
Im Startbildschirm wird die Bundesvorsitzende der Partei ‚Bündnis 90/Die Grünen‘ Ricarda Lang gezeigt, wie sie eine Regenbogenfahne schwenkt. Das Mitglied des Bundestags ist insbesondere innerhalb der Neuen Rechten im Netz immer wieder Ziel misogyner und körperbezogener Hassrede.
Nach Spielstart steht die aus der Ego-Perspektive spielbare Figur in einem Ladengeschäft. In der rechten Hand hält sie eine optisch stark vereinfachte Schusswaffe. Am oberen Bildschirmrand kann man die aktuelle Welle der Besucher ablesen, welche stets in Gruppen von mehreren Personen den Laden betreten. Außerdem ist durch eine Zahl gekennzeichnet, wie viele Täter, also Plünderer, sich innerhalb der aktuellen Gruppe aufhalten. Kann ein solcher Täter unerkannt mit Waren aus dem Geschäft entkommen, sinkt der angezeigte Kontostand. Dies kann durch Erschießen der entsprechenden Figur verhindert werden.
Die Figuren sind bis auf die dargestellte Hautfarbe alle identisch dargestellt. Täter, welche es rechtzeitig zu eliminieren gilt, sind ausnahmslos von dunkler oder gelber Hautfarbe. Zudem trägt in jeder Tätergruppe eine Figur die Gesichtszüge von George Floyd[3].
Im Spiel werden eindeutig und offen rassistische Inhalte transportiert. Die Täter der „Party – und Eventszene“ sind durch ihre Hautfarbe als solche gekennzeichnet und können - möchte man eine Spielniederlage abwenden - ohne Konsequenz erschossen werden.
Fazit
Direkte Bezüge zu rechtsextremistischen Personen aus Baden-Württemberg sind im aktuellen „Heimat Jam: Antarctica Edition“ nicht zu finden. Nichtsdestotrotz finden sich in allen Spielen Thematisierungen von Konflikten gegen den - zumeist politischen – Gegner. Das Narrativ des moralisch überlegenen Retters, welcher sich einer von vermeintlich autoritär indoktrinierten Beweggründen geleiteten, blinden Masse gegenübersieht, rechtfertigt den Einsatz körperlicher Gewalt als letztes Mittel zur Erreichung eines als subjektiv ehrbar vermittelten Ziels.
Der einfache Zugang zu den Spielen per Download auf der Homepage des Veranstalters sowie die niedrigen Hardwareanforderungen[4] ermöglichen theoretisch flächendeckend allen Interessierten den Zugang zu den Veröffentlichungen. Die in Teilen subtil verpackten rassistischen oder verschwörungsideologischen Ansichten weisen durchaus das Potenzial auf, insbesondere junge Spieler mit wenig oder keiner politischen Vorbildung mit entsprechenden Thesen und interaktiven Inhalten zu indoktrinieren respektive zu radikalisieren. Und obgleich Unternehmen und am Heimat Jam beteiligte Hobby-Entwickler nicht müde werden zu betonen, dass vieles nur parodistisch gemeint sei, so bleibt doch der Wille zur aktiven politischen Beeinflussung spielefreudiger Klientel klar erkennbar. Immerhin lautet die Botschaft des Unternehmens auf dessen Homepage, man wolle „nicht nur unterhalten, sondern auch patriotische Werte vermitteln und … ein Gegengewicht zur Agenda der globalistischen Großkonzerne sein, die mit ihrer zunehmenden Ideologisierung … das Spieleerlebnis durch überzogene politische Korrektheit im Namen des Zeitgeists völlig ruinieren.“
Die adäquate Antwort, das anvisierte „Gegengewicht“ darauf, sehen die Veranstalter in einer Aneinanderreihung
rassistischer, antisemitischer, homophober und staatsfeindlicher Inhalte, verpackt in unterhaltsam anmutenden Storylines und
Retro-Grafiken.
„Alles Parodie“.
[3] Der Tod von George Floyd im Mai 2020 bei einer Polizeikontrolle in
den USA gilt als Auslöser der internationalen „Black Lives Matter“-Bewegung. George Floyd wird innerhalb der
rechtsextremistischen Szene als vermeintlich typisches Beispiel afroamerikanischer Krimineller bezeichnet, sein Tod herabgewürdigt.
Der Fall wird auch im Spiel „Heimat Defender: Rebellion“ von Kvltgames aufgegriffen. [Link zum Beitrag siehe Fußnote
2]
[4] Bei den Spielen handelt es sich um einfache Grafikanwendungen, welche
keine erhöhten Anforderungen an PC-Grafikkarten oder Arbeitsspeicher stellen.