Linksextremismus

Linksextremisten sehen sich wachsendem „Repressionsdruck“ ausgesetzt

Im vergangenen Jahr wurden mehrere Personen aus dem gewaltorientierten linksextremistischen Spektrum in Baden-Württemberg zu Freiheitsstrafen verurteilt oder mussten eine solche antreten. Die linksextremistische Szene nimmt laut eigener Darstellung im Internet einen wachsenden „Repressionsdruck“ wahr. Von diesem dürfe man sich aber nicht „einschüchtern lassen“, sondern man müsse „solidarisch zusammenstehen“ und entsprechend „antworten“, hieß es etwa auf dem linksextremistischen Portal „de.indymedia.org“.

Am 17. Januar 2023 fiel die dritte und vorerst letzte Entscheidung in den Prozessen um die Stuttgarter „Krawallnacht“ vom 20. Juni 2020. Ein Mitglied der linksextremistischen Szene wurde vom Amtsgericht Stuttgart zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Bereits im Oktober 2022 hatte das Gericht im selben Kontext Freiheitsstrafen gegen zwei Linksextremisten verhängt, im ersten Fall zu drei Jahren und neun Monaten und im zweiten Fall zu drei Jahren und zwei Monaten. Die Verurteilungen erfolgten unter anderem wegen Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall in Tateinheit mit tätlichen Angriffen auf Vollstreckungsbeamte und versuchter gefährlicher Körperverletzung. Bislang wurde in einem Fall Berufung eingelegt. 

Die gewaltorientierte linksextremistische Szene Stuttgart verfolgte die Verhandlungen zu den „Krawallnachtsprozessen“ überwiegend mit und nutzte die Ereignisse zur Mobilisierung der eigenen Mitglieder. Die Stuttgarter Ortgruppe der linksextremistischen „Roten Hilfe e. V.“ (RH) veröffentlichte zum Beispiel im September 2022 auf ihrer Homepage einen Aufruf zur „solidarischen Prozessbegleitung“. Dieser war verbunden mit der eigens initiierten Kampagne „Krawallnacht – Weil‘s uns angeht!“. Das hierfür entworfene Logo zeigt unter anderem eine Szene, die sich als gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Aktivisten und Polizeikräften interpretieren lässt. Aus Sicht der RH waren die Angeklagten „stellvertretend (…) für eine Linke angeklagt, die sich zu sozialen Widersprüchen aktiv in ein Verhältnis“ setzt. Deshalb gelte es, die Beschuldigten „nicht alleine vor Gericht zu lassen“. Der Aufruf wurde im Januar 2023 mit Blick auf die bevorstehende Berufungsverhandlung erneuert.

Neben der „solidarischen Prozessbegleitung“ reagierte die linksextremistische Szene auf die Urteilsverkündungen auch mit Farbangriffen auf mehrere Justizbehörden in Baden-Württemberg. So erfolgte beispielsweise am frühen Morgen des 10. November 2022 eine Attacke auf das Amtsgericht in Stuttgart. Ein Selbstbezichtigungsschreiben dazu erschien am 11. November 2022 auf der linksextremistischen Internetplattform „de.indymedia.org“. In dem Schreiben heißt es, die Aktion solle „die Repressionsbehörden daran (…) erinnern, dass sie angreifbar sind und es Konsequenzen hat, wenn sie einige von uns verurteilen“. Auch in Tübingen habe man die Urteile „zum Anlass genommen, die Verantwortlichen anzugreifen“. Dort wurde Ende November das Gebäude der Staatsanwaltschaft mit roter Farbe beschmiert. In einem SBS vom 30. November 2022 auf „de.indymedia.org“ heißt es dazu: 

„Der Kampf gegen die Klassenjustiz geht weiter!“

Farbanschlag auf das Amtsgericht Stuttgart, 10. November 2022.

Weitere Solidaritätsaktionen 

Traditionell nutzen linksextremistische Akteure auch den Jahreswechsel für „Solidaritätsbekundungen“ mit Inhaftierten und damit verbundene Aktionen im Handlungsfeld „Antirepression“. Auch zum Jahreswechsel 2022/2023 war das der Fall. Wie in den Vorjahren waren Justizvollzugsanstalten (JVAen) die bevorzugten Ziele. In Stuttgart mobilisierten beispielsweise verschiedene Gruppierungen, die zur gewaltorientierten linksextremistischen Szene zählen, zum alljährlichen „Knastspaziergang“ an der JVA Stuttgart-Stammheim. In einem gemeinsamen Aufruf, den unter anderem die „Revolutionäre Aktion Stuttgart“ (RAS) verbreitete, wurde mitgeteilt, man solle die eigene Präsenz an Justizvollzugsanstalten als „Umgang mit den Angriffen der Repression“ verstehen. Ziel sei eine „symbolische Überwindung der Knastmauern“, um „die Isolation und Trennung der Gefangenen (…) zu durchbrechen“. Unter dem Motto „Kriminell ist das System! Unsere Solidarität gegen ihre Repression“ versammelten sich am Abend des 31. Dezember 2022 rund 120 Menschen an der JVA Stammheim zu einer „Silvesterdemo“. Im Anschluss daran hielten die Demonstranten eine Kundgebung in der Stuttgarter Innenstadt ab; laut „de.indymedia“-Eintrag vom 1. Januar 2023 wollten sie damit die „Legitimität und Notwendigkeit unserer Solidarität mit den politischen und sozialen Gefangenen nochmals in die Öffentlichkeit“ tragen. 

Auch an den JVAen in Heimsheim und Tübingen gab es Aktionen, bei denen Pyrotechnik gezündet wurde. Dazu hieß es: 

„Mit kollektiven Aktionen und Widerstand, aber auch dem Fortführen des Kampfes inner- und außerhalb der Knastmauern, durchbrechen wir die Ohnmacht, in die uns die Herrschenden versetzen wollen“

An der JVA in Offenburg trat eine Gruppe von rund 40 Personen in Erscheinung. Sie sprühten unter anderem die Parole „Gegenmacht aufbauen“ an eine Außenmauer, außerdem zündeten sie ebenfalls Pyrotechnik und warfen Farbkugeln, wodurch ein Polizeieinsatz ausgelöst wurde.

Hintergrund

Bereits im Oktober 2020 und im Oktober 2021 hatten Gerichte zwei Angehörige der gewaltorientierten linkextremistischen Szene Baden-Württembergs zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Insbesondere der letztgenannte Fall im Rahmen des sogenannten Wasenprozesses führte zu deutlichen Szenereaktionen und einer Reihe von Resonanzstraftaten, welche die Täter als Solidaritätsbekundungen verstanden wissen wollte. Außerdem beklagte die Szene einen zunehmenden „Repressionsdruck“. Das bundesweite gewaltorientierte linksextremistische Bündnis „Perspektive Kommunismus“ (PK) veröffentlichte beispielsweise im März 2021 – im Vorfeld des Wasenprozesses – eigens eine Broschüre, in der vom „unbedingten Kriminalisierungswillen des Staates“ aufgrund einer „Angst vor linker Gegenmacht“ die Rede ist. Deshalb gelte es, zu „lernen mit der Konfrontation umzugehen und Gegendruck zu organisieren“.

Bewertung

Mit den jüngsten Urteilen im Kontext der Stuttgarter Krawallnacht erhöht sich die Anzahl der Linksextremisten, die in Baden-Württemberg zu Haftstrafen verurteilt wurden, auf insgesamt vier Personen. Immer wieder erscheinen in einschlägigen Veröffentlichungen Appelle wie „Durchbrechen wir gemeinsam die Ohnmacht, die durch staatliche Repression entsteht“. Dies legt die Vermutung nahe, dass sich die Verurteilungen stark emotionalisierend ausgewirkt haben, insbesondere auf die gewaltorientierte Stuttgarter Szene. Deshalb ist davon auszugehen, dass weitere Aktionen und Resonanzstraftaten folgen und die Szene dabei zunehmend konspirativ vorgeht. 

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