Verfassungsschutz allgemein

„Die Querdenken-Bewegung – zwischen Verschwörungsmythen und Bürgerprotest“

Vortrag von Frank Dittrich, stellvertretender Leiter des Landesamts für Verfassungsschutz, bei der Tagung „Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland“ von Landesarchiv Baden-Württemberg und Generallandesarchiv Karlsruhe am 27. und 28. Januar 2021.
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1. Die Entwicklung der Corona-Proteste aus Sicht des Verfassungsschutzes

Sehr geehrter Herr Professor Dr. Maier, 
sehr geehrter Herr Professor Dr. Zimmermann, 
meine sehr geehrten Damen und Herren, 

seit Anfang des vergangenen Jahres finden im Zuge der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der andauernden Corona-Pandemie deutschlandweit zahlreiche Protestversammlungen statt. Großveranstaltungen wie im Mai 2020 in Stuttgart auf dem Cannstatter Wasen oder in Berlin am 1. und 29. August wurden von mehreren tausend Demonstranten besucht. In der Spitze nahmen sogar bis zu 38.000 Personen teil. Neben diesen medial besonders wirksamen Großveranstaltungen finden auch aktuell noch jede Woche bundesweit viele kleinere Protestkundgebungen auf regionaler Ebene statt, bei denen Kritik an den staatlichen Maßnahmen zum Ausdruck gebracht wird. 

Kernpunkt der Kritik der Protestierenden war anfangs vor allem die aus ihrer Sicht unverhältnismäßige Beschränkung der Grundrechte. Relativ schnell wurde dabei die in Stuttgart gegründete Bewegung „Querdenken 711“ zum Träger und Sprachrohr der Proteste. Sie nimmt bis heute bundesweit eine führende Rolle ein. Eine zentrale Forderung von „Querdenken“ war zunächst die angeblich notwendige „Wiederherstellung der Grundrechte“. Inzwischen wird dieser Appell jedoch überlagert von einer grundsätzlichen Staatsfeindlichkeit bei führenden Personen der „Querdenken“-Bewegung – und das in erheblichem Maße. 

Aufgrund dieser zunehmenden Radikalisierung von „Querdenken 711“ und seiner baden-württembergischen Ableger werden die Initiativen seit dem 9. Dezember vom Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg beobachtet. Diese Beobachtung richtet sich ausschließlich auf die Organisatoren und deren näheres Umfeld – nicht auf die große Masse oder gar alle Demonstrationsteilnehmer, das ist mir wichtig zu betonen. Für die Beobachtung gibt es mehrere Gründe. So hat das LfV zum Beispiel festgestellt, dass führende „Querdenken“-Akteure in Baden-Württemberg sich verstärkt mit bekannten „Reichsbürgern“, „Selbstverwaltern“ und Rechtsextremisten vernetzt haben. Doch „Querdenker“ sind auch durch eigene verfassungsfeindliche Äußerungen aufgefallen, die selbst eine Zugehörigkeit zum extremistischen Milieu – insbesondere mit klaren Bezügen zu „Reichsbürger“-Narrativen – deutlich machen.

2. Radikalisierung der Protestbewegung von außen?

Die Teilnahme von Extremisten und Verschwörungsideologen

Insgesamt handelt es sich beim Demonstrationsgeschehen rund um die Corona-Thematik um eine diffuse, äußerst heterogene Ansammlung von Personen. Die Masse der Teilnehmer kann nicht eindeutig verortet werden. So ist unter den Demonstranten eine (relativ) sachlich-kritische bis ablehnende Haltung gegenüber den staatlichen Corona-Maßnahmen zu finden. Es sind aber auch Impfgegner, Mobilfunkgegner sowie Rechtsextremisten, „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ auf den Veranstaltungen präsent. Dazu kommen weitere Anhänger unterschiedlicher Verschwörungsmythen. Neben bekannten extremistischen Gruppierungen und Einzelpersonen fallen hier vor allem „QAnon“-Anhänger auf, die im Besonderen vom Demonstrationsgeschehen profitieren und ihre Bekanntheit in Deutschland deutlich gesteigert haben.

(1) Die Teilnahme von rechtsextremistische Gruppierungen und Personen

Dass sich Rechtsextremisten, Mitglieder und Sympathisanten rechtsextremisti-scher Organisationen an Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen beteiligen, mussten wir bereits unmittelbar nach Beginn dieser Proteste feststellen: Allen voran sind Mitglieder und Anhänger der Parteien NPD, „DIE RECHTE“ und „Der III. Weg“ aufgefallen. Auch Mitglieder von extremistischen Teilstrukturen der Alternative für Deutschland (AfD), d. h. des „Flügels“ und der „Jungen Alternative“, waren auf den einschlägigen Demonstrationen anwesend. Ihr Anteil war und ist jedoch zahlenmäßig gering.

Im Laufe des vergangenen Jahres haben rechtsextremistische Akteure auch eigene Protestveranstaltungen und Kundgebungen in Baden-Württemberg angemeldet und durchgeführt. Der Zuspruch zu diesen Veranstaltungen war in den meisten Fällen aber gering, die Teilnehmerzahl lag meist im niedrigen zweistelligen Bereich.

Ebenfalls zu einem frühen Zeitpunkt der Proteste hatten wir Informationen darüber, dass die rechtsextremistische Szene durch ihre Teilnahme und ihr vereinzeltes organisatorisches Mitwirken an den Demonstrationen versuchte, das Versammlungsgeschehen insgesamt nach rechtsextremistischer Vorstellung zu instrumentalisieren. Ihr Ziel: Anschluss an die bürgerlichen Demonstrationsteilnehmer finden.

Auch wenn es den Rechtsextremisten nicht gelungen ist, inhaltlich maßgeblich Einfluss zu nehmen, so muss doch ein anderer Aspekt nachdenklich stimmen: Obwohl die Teilnahme von Rechtsextremisten bereits in einem frühen Stadium erkennbar war, blieb eine durchgängige und unmissverständliche Abgrenzung durch die Veranstaltungsorganisatoren und viele Versammlungsteilnehmer aus. Konkret: Statt sich klar von Rechtsextremisten zu distanzieren, wurden stattdessen der „offene Charakter“ der Protestbewegung beschworen und die Meinungs- und Versammlungsfreiheit gepriesen. Dafür wurde die Anwesenheit von Extremisten zumindest in Kauf genommen. 

(2) Die Teilnahme von „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“

Einzelne Personen aus dem Milieu der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ konnten wir ebenfalls praktisch von Beginn der Proteste an unter den Rednern und Teilnehmern der Veranstaltungen ausmachen. Sehr schnell war klar, dass auch von dieser Seite der Versuch unternommen wurde, politisch Kapital aus der Kritik an den staatlichen Maßnahmen zu schlagen. Für Ihren Hintergrund: „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ leugnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und ihres Rechtssystems, sprechen Politikern und anderen Staatsbediensteten die Legitimation ab und verstoßen dementsprechend immer wieder gegen geltende Gesetze. Vereinzelt finden sich in diesem Milieu Versatzstücke rechtsextremistischer Ideologie, so zum Beispiel Antisemitismus, Rassismus, generelle Fremdenfeindlichkeit und Geschichts- oder Gebietsrevisionismus. Während der aktuellen Pandemie wurden die Corona-Maßnahmen von vielen Szeneangehörigen in das eigene Weltbild vom illegitim agierenden Staat eingefügt. Da-bei bediente man gerne und oft den Verschwörungsmythos einer politischen Elite, die zum Ziel des Machterhalts die vermeintliche Wahrheit unterdrücke. Auch diese Szene hatte und hat letztlich das Ziel, den Protest für eigene verfassungsfeindliche Zwecke zu instrumentalisieren.

(3) Die Teilnahme von „QAnon“-Anhängern

Immer wieder sind auf den Corona-Demonstrationen auch „QAnon“-Symbole erkennbar: das markanteste Erkennungszeichen ist dabei sicher der große Buchstabe „Q“ auf T-Shirts oder Plakaten. Bei „QAnon“ handelt es sich um eine jedenfalls in Teilen antisemitische Verschwörungsideologie, die in den USA entstanden ist und dort über eine breite Anhängerschaft verfügt. Im Kern geht es darin um einen staatsinternen „Krieg“, den der vormalige Präsident Donald Trump gegen den sogenannten „Deep State“, also eine geheime Elite, geführt habe. „QAnon“-Anhänger finden sich regelmäßig unter den Teilnehmern der „Querdenken“-Demonstrationen. Wie schon im Verhältnis zur rechtsextremistischen Szene gibt es auch hier seitens „Querdenken“ keinerlei ernsthafte Distanzierungsversuche. 

Fazit:  

Die Versuche einer Einflussnahme durch Rechtsextremisten, „Reichsbürger“, „Selbstverwalter“ und extremistische Verschwörungsideologen führten für sich betrachtet nicht zu einer insgesamt extremistischen Ausrichtung der Corona-Proteste. Doch diese Versuche bereiteten den Boden für eine zumindest stillschweigende, zum Teil sogar explizit geäußerte Akzeptanz von extremistischem Gedankengut bei den Veranstaltungen. Zugleich beförderten sie möglicherweise die Radikalisierung innerhalb der Querdenken-Initiativen und stärkten dort bereits aktive extremistische Akteure und deren Positionen. 

3. „Querdenken 711“: Radikalisierung von innen?

Radikalisierung der Organisationsebene des „Netzwerks Querdenken“

Die Gruppierung „Querdenken 711“ mit ihrem regionalen Aktionsraum in Stuttgart und Umgebung hat von Beginn an eine führende Rolle bei den Demonstrationen gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen eingenommen. Auch nach der Gründung zahlreicher weiterer „Querdenken“-Ableger in ganz Deutschland ist sie nach wie vor die wichtigste Initiative innerhalb der Bewegung. Ohne „Querdenken 711“, so deutlich muss man das sagen, wäre eine deutschlandweite Verbreitung des Labels „Querdenken“ vermutlich nicht möglich gewesen.

Wie bereits erwähnt führte die zunehmende Radikalisierung von „Querdenken 711“ und seiner baden-württembergischen Ableger vor wenigen Wochen zur Beobachtung durch das Landesamt für Verfassungsschutz. Verfassungsschutzrechtlich relevant und damit vom Beobachtungsauftrag umfasst sind die Organisatoren selbst, die die ideologische Ausrichtung bestimmen und diese immer stärker in eine extremistische Richtung lenken. Die Maßnahmen richten sich, auch das hatte ich ja bereits erwähnt, nicht gegen die größtenteils nichtextremistischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Protesten. Ich sage es noch einmal deutlich: Kritik an staatlichem Handeln ist grundsätzlich legitim. 

Die extremistischen Akteure scheinen es jedoch geschafft zu haben, ihre verfassungsfeindlichen Botschaften über die „Querdenken“-Veranstaltungen in weite Teile der nichtextremistischen Protestierenden hinein zu verbreiten. 
Die Zielrichtung der „Querdenken“-Proteste hat sich zu „Reichsbürger“-typischen Narrativen verschoben und es lässt sich ein zunehmend hohes Maß an Staatsfeindlichkeit erkennen. Dabei ist nach unserer Einschätzung weniger eine Instrumentalisierung von außen erfolgt. Vielmehr kam es zu einer verstärkten Verbreitung von extremistischen Inhalten aus dem Organisationsteam der „Querdenken“-Bewegung selbst heraus.

Offiziell distanziert sich „Querdenken“ zwar von extremistischem Gedankengut. Auf der offiziellen Internetseite heißt es hierzu: „Rechtsextremes, linksextremes, faschistisches, menschenverachtendes Gedankengut hat in unserer Bewegung keinen Platz.“ Doch aufgrund der uns vorliegenden Erkenntnisse erscheint diese Distanzierung sehr fragwürdig. Tatsächlich finden sich verschiedene extremistische Versatzstücke innerhalb der Initiative:

(1) „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Narrative

Spätestens seit der zweiten Großdemonstration im vergangenen August in Berlin konnten wir beobachten, dass maßgebliche „Querdenken“-Akteure selbst „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Ideologeme geäußert haben: So solle beispielsweise eine Verfassung erarbeitet werden, da der Verfassungsstatus des Grundgesetzes in Zweifel gezogen wird. Deutschland benötige einen „Friedensvertrag“, sei nicht souverän und besitze demzufolge auch keine gültige Verfassung, war in öffentlichen Auftritten der „Querdenker“ zu hören. Diese Entwicklung passt auch zu dem Umstand, dass ehemalige wie derzeit aktive Organisatoren von „Querdenken“ bereits früher mit „Reichsbürger“-Äußerungen aufgefallen sind.

(2) Rechtsextremistische Argumentationsmuster

Dabei handelt es sich nicht um wenige Fälle, im Gegenteil: Zahlreiche Personen und Gruppierungen rund um die Initiative „Querdenken 711“ sind dem LfV mit rechtsextremistischen und islamfeindlichen Aussagen bekannt geworden: Ein gefährliches Beispiel dieser verbreiteten Äußerungen ist die Verschwörungserzählung des „Großen Austauschs“, wonach die Regierung die systematische Ausrottung des deutschen Volkes plane. Dadurch soll vor allem Hass gegen die Bundesregierung provoziert werden. Kombiniert wird das Ganze mit einer starken Islamfeindlichkeit, die je nach Ausprägung auch antisemitische Elemente enthält. Letztlich soll staatliches Handeln delegitimiert werden. Widerstand gegen den Staat – in welcher Form auch immer – wird gleichzeitig gerechtfertigt. 

(3) Übernahme verschwörungsideologischer Narrative/QAnon

Weitere extremistische Narrative sind erkennbar, wenn die „Querdenken“-Akteure auf die „QAnon“-Bewegung Bezug nehmen. Sie vermischen bewusst sprachlich und inhaltlich die „Querdenken“-Ideen mit dem „QAnon“-Verschwörungsmythos. Nicht nur, dass keinerlei Distanzierung von diesen staatsfeindlichen und antisemitischen Inhalten erfolgt – „Querdenken“ adaptiert sogar zunehmend solche Argumentationsmuster. 

(4) Relativierung des Nationalsozialismus

„Querdenken“ lässt nicht nur Vergleiche zwischen den aktuellen staatlichen Pandemie-Maßnahmen und der Unterdrückung durch das nationalsozialistische Regime zu – diese Vergleiche werden sogar aktiv befördert. Einer der Organisatoren verglich die Pandemie-Maßnahmen mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933. Andere, zumindest geduldete Redner, fielen immer wieder durch ähnliche Vergleiche bei „Querdenken“-Veranstaltungen auf: Auch das kürzlich verabschiedete neue Infektionsschutzgesetz wurde dabei schon mehrfach mit dem Ermächtigungsge-setz gleichgesetzt. Das Hauptmotiv dieser Vergleiche dürfte zwar sein, möglichst große Entrüstung über und Ablehnung gegen die aktuellen Maßnahmen im Publikum zu erzeugen. Trotzdem stellen sie neben der Diffamierung der Regierung eine massive Verharmlosung des Nationalsozialismus und des Holocaust dar. Eine Distanzierung durch „Querdenken“: auch hier nicht erkennbar.

Fazit:

Die Zielrichtung der „Querdenken“-Proteste hat sich zu „Reichsbürger“-typischen Narrativen verschoben und hat ein hohes Maß an Staatsfeindlichkeit entwickelt. Diese Entwicklung wurde zunehmend aus den Reihen der „Querdenken“-Organisatoren selbst vorangetrieben und ist weniger durch eine Instrumentalisierung von außen zu erklären.

Die Ursachen für diese Radikalisierung sind schwer zu beurteilen. Es liegt jedoch nahe, dass einzelne Akteure schon zu Anfangszeiten der „Querdenken“-Bewegung andere Ziele vor Augen hatten als die „bloße“ Aufhebung der Corona-Maßnahmen. Auch der möglicherweise unerwartet große Zulauf zu den Demonstrationen könnte die Ausrichtung beeinflusst haben.


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