Zum Inhalt springen

Islamismus

Männlich, Mitte 30, politisch motiviert: Strukturdatenanalyse zum Salafismus in Baden-Württemberg

Die aktuelle Strukturdatenanalyse zum Salafismus in Baden-Württemberg zeigt, dass die 30- bis 39-Jährigen weiterhin die Szene prägen. Wie in den Jahren zuvor stieg allerdings der Anteil der unter 20-Jährigen. Obwohl die Bedeutung des Jihadismus zugenommen hat, steht weiterhin der missionarische Charakter des Salafismus im Vordergrund. Darüber hinaus bleibt die Szene männlich dominiert – Frauen treten öffentlich nur selten auf.

Seit dem Jahr 2021 veröffentlicht das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg (LfV) regelmäßig Informationen zur Zusammensetzung der salafistischen Szene im Land, die Strukturdatenanalyse „Salafismus“. Wie viele Personen umfasst die Szene in Baden-Württemberg? Wie alt sind die Mitglieder? Welches Geschlecht haben sie? Werden sie dem politischen oder jihadistischen Salafismus zugerechnet? Diese Fragen können mit Hilfe der erhobenen Daten beantwortet werden. Im Folgenden werden die Zahlen des Jahres 2024 [1] vorgestellt und eingeordnet. Ein Vergleich mit den Vorjahresdaten zeigt aktuelle Trends und Entwicklungen.

Der Salafismus ist die in den letzten Jahren am stärksten gewachsene islamistische Strömung in Deutschland. Seit der erstmaligen Erhebung des salafistischen Personenpotenzials im Jahr 2011 stieg dieses von 500 bis auf 1.350 im Jahr 2024 an. Lediglich im Jahr 2022 sank das Personenpotenzial geringfügig um 150 Personen. Der Trend der letzten Jahre verdeutlicht, dass das salafistische Personenpotenzial weiterhin hoch ist und die Aktivitäten vielfältig sind.

30- bis 39-Jährige prägen die Szene

In den vergangenen Jahren war die Altersverteilung der Salafisten in Baden-Württemberg relativ stabil. Lediglich bei einzelnen Alterskohorten gab es im Vergleich zum Vorjahr Schwankungen im niedrigen Prozentbereich. Seit der ersten Strukturdatenanalyse der salafistischen Szene in Baden-Württemberg stellen die 30- bis 39-Jährigen die größte Alterskohorte dar; ein Trend, der sich mit einem Anteil von 34 Prozent im Jahr 2024 fortsetzt (2023: 36 Prozent). Der Anteil der 20- bis 29-Jährigen und der 40- bis 49-Jährigen stieg jeweils um einen Prozentpunkt und liegt aktuell bei 22 Prozent. Dies könnte darauf hindeuten, dass Personen, die im jungen Erwachsenenalter mit dem Salafismus in Berührung kamen, nach wenigen Jahren wieder aus der Szene aussteigen. Bei der Alterskohorte der 50- bis 59-Jährigen gab es die größte Veränderung. Ihr Anteil sank von 15 Prozent im Vorjahr auf zwölf Prozent im Jahr 2024. Die Alterskohorte der über 60-Jährigen blieb bei sechs Prozent.

Die Gruppe der 14- bis 19-Jährigen ist trotz eines Anstiegs von knapp zwei Prozent im Jahr 2023 auf über drei Prozent 2024 weiterhin die kleinste. Im Gegensatz zu den anderen Gruppen umfasst diese Alterskohorte jedoch nicht zehn, sondern nur sechs Jahre. Gleichzeitig gelten für die Erfassung, Speicherung und Nutzung von Daten von extremistischen Minderjährigen nach § 8 Landesverfassungsschutzgesetz restriktivere Kriterien. 

Alterstruktur Salafismus
Der Vergleich der Strukturdatenanalysen des LfV der vergangenen Jahre zeigt die Schwankungen innerhalb der Alterskohorten. Auch in der diesjährigen Analyse ist die Alterskohorte der 30- bis 39-Jährigen die größte.

Politische Missionierung dominiert weiterhin

Ziel aller Salafisten ist es, die salafistische Glaubensauslegung zu verbreiten und langfristig eine islamische Gesellschaftsordnung zu schaffen. Während politische Salafisten überwiegend auf Missionierung setzen, um ihr Ziel zu erreichen, sind Jihadisten darüber hinaus bereit, Gewalt einzusetzen. Die Mehrheit der Salafisten gehört laut aktueller Datenanalyse weiter dem politischen Spektrum an: Nach einem Anstieg des Anteils politischer Salafisten im Vorjahr auf 59 Prozent sank der Anteil im aktuellen Berichtszeitraum auf 56 Prozent. 

Jihadistische Salafisten machen weiterhin etwas mehr als ein Drittel der Szene aus; ihr Anteil sank um zwei Prozentpunkte auf 35 Prozent. Eine scharfe Trennung zwischen den beiden Strömungen ist jedoch nicht immer möglich. Der Anteil derer, die sich weder klar dem politischen noch dem jihadistischen Salafismus zuordnen lassen, stieg um einen Prozentpunkt und bleibt im einstelligen Bereich (neun Prozent). 

Personenpotential der unterschiedlichen Strömungen
Die Aufteilung des salafistischen Personenpotenzials zeigt, dass die Mehrheit der Salafisten in Baden-Württemberg dem politischen Salafismus zuzuordnen ist. Der Jihadismus macht etwas mehr als ein Drittel der salafistischen Szene aus.

Die Zahlen deuten darauf hin, dass die jihadistische Strömung zwar in der Breite des Salafismus eine untergeordnete Rolle spielt, allerdings als eigene Strömung weiterhin relevant ist. Jihadistische Akteure verbreiten weiterhin Propaganda in den sozialen Medien und über Messengerdienste wie Telegram. Sie richtet sich in ihrer Aufmachung und Ästhetik gezielt an junge Erwachsene. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ ruft in ihrer Propaganda regelmäßig zur Durchführung von Anschlägen durch Einzelpersonen auf. Die jihadistische Bedrohungslage verbleibt auf einem sehr hohen Niveau. 

Vergleicht man die Altersstruktur der beiden salafistischen Strömungen, zeigt sich außerdem, dass der Jihadismus vor allem ein Jugendphänomen ist und gerade junge Szeneangehörige eine Distanz zur religiös legitimierten Gewaltanwendung vermissen lassen. Bei den unter 20-Jährigen beträgt der Anteil derer, die der jihadistischen Strömung zugerechnet werden, etwa 70 Prozent, bei den 20- bis 29-Jährigen und 30- bis 39-Jährigen 40 beziehungsweise 42 Prozent, bei den älteren sind es nur noch weniger als 30 Prozent. 

Männlich dominiert

Auch in Baden-Württemberg dominieren Männer die salafistische Szene und machen knapp 90 Prozent des salafistischen Personenpotenzials aus. Seit der Strukturdatenerhebung 2022 liegt der Anteil von Frauen gleichbleibend bei etwa zehn Prozent, je nach Altersgruppe variiert er zwischen sieben Prozent und 15 Prozent. Der tatsächliche Frauenanteil dürfte höher liegen, denn im Salafismus agieren Frauen überwiegend im Hintergrund und engagieren sich in „weiblich“-konnotierten Domänen wie Haushalt, Kindererziehung oder eigenen Frauenzirkeln, ohne dabei öffentlich in Erscheinung zu treten. Im Vergleich dazu sind männliche Szeneangehörige deutlich sichtbarer, und das offline wie online.

Geschlechteranteile im Salafismus
Der Anteil von Frauen im Salafismus liegt – wie in den Vorjahren – bei rund zehn Prozent. Der geringe Anteil von Frauen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Frauen im Salafismus aktiv sind – wenn auch in der Regel weniger öffentlichkeitswirksam.

Interessant ist ein Blick auf den Frauenanteil der unterschiedlichen Strömungen im Salafismus: Die große Mehrheit der Frauen, rund 73 Prozent, werden dem politischen Salafismus zugerechnet. Auch bei den Männern überwiegt diese Strömung, allerdings nicht so deutlich (54 Prozent). Der Anteil der Frauen, die als Vertreter des jihadistischen Salafismus gelten, ist mit 24 Prozent deutlich kleiner als bei den Männern (36 Prozent). Darüber hinaus scheinen sich Frauen in Bezug auf die Bereitschaft, Gewalt einzusetzen, auch deutlich klarer zu positionieren. Während zehn Prozent der Männer eine ambivalente Haltung an den Tag legen und sich nicht eindeutig dem politischen und jihadistischen Salafismus zuordnen lassen, sind es bei den salafistischen Frauen lediglich drei Prozent.

Welche Trends lassen sich beobachten?

Auch die vorliegende Strukturdatenanalyse des LfV zeigt interessante Trends und Entwicklungen bezüglich der Zusammensetzung der salafistischen Szene in Baden-Württemberg. Die andauernde abstrakte Gefährdungslage, die vom jihadistischen Salafismus ausgeht, spiegelt sich in dem steigenden Anteil dieser Strömung im Salafismus wider. Dabei zeigt sich auch eine Diskrepanz zwischen den Generationen: Der politische Salafismus ist durch ältere Szeneangehörige geprägt, während der jihadistische Salafismus vor allem jüngere Generationen anspricht. Der Anteil der unter 19-jährigen an der salafistischen Szene insgesamt bleibt weiter klein. Neben Einschränkungen bei der Speicherung der Daten von Minderjährigen kann dies auch daran liegen, dass sie die salafistische Ideologie im Internet und insbesondere in sozialen Medien konsumieren und nicht anderweitig öffentlich in Erscheinung treten. Dort hat sich eine Jugendsubkultur herausgebildet, die popkulturelle Elemente wie sogenannte Memes aufgreift und mit jihadistischen Versatzstücken verbindet. Weitere Informationen zu dieser Thematik bietet unser Homepagebeitrag Zwischen Likes und Extremismus: Minderjährige im Visier islamistischer Propaganda.


[1] Der Stichtag für die dieser Analyse zugrundeliegenden Strukturdaten des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg war der 31. Dezember 2024. [zurück]