Jede der in Baden-Württemberg aktiven türkisch-linksextremistischen Gruppierungen verfügt über eine eigene Jugendgruppe. Der Aktionsschwerpunkt liegt dabei deutlich auf dem Großraum Stuttgart, wo Ortsgruppen von „Young Struggle“ (YS), „Socialist Youth Movement“ (SYM) und der „Neuen Demokratischen Jugend“ (YDG) existieren. YS gehört zur „Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei“ („Marksist Leninist Komünist Parti“, MLKP). Die YDG gilt als Jugendgruppe der „Kommunistischen Partei der Türkei-Marxisten-Leninisten“ („Türkiye Komünist Partisi-Marksist-Leninist“, TKP-ML [1]) und SYM kann der „Maoistischen Kommunistischen Partei“ („Maoist Komünist Partisi“, MKP) zugeordnet werden, die eine Abspaltung der TKP/ML ist.
Die Jugendgruppen sind besonders im digitalen Raum präsent und stellen überwiegend auf der Plattform Instagram ihre Aktivitäten dar. Ein Beispiel dafür ist eine Gedenkveranstaltung zu Ehren von Ibrahim Kaypakkaya, die am 23. Mai 2025 in den Räumlichkeiten des TKP-ML-nahen „Tohum Kultur Verein e. V. Stuttgart“ stattfand. Kaypakkaya ist der Gründer der TKP-ML und ihr zentraler Vordenker. Im Vorfeld verbreiteten die Stuttgarter Ortsgruppen der YDG und des SYM die Veranstaltungsankündigung gemeinsam über Instagram. Im Nachgang veröffentlichten sie einen Beitrag mit Bildern und berichteten, dass die Veranstaltung mit einer Schweigeminute für „alle revolutionären Märtyrer“ begonnen habe. Darüber hinaus soll es eine Diashow über Kaypakkayas Leben gegeben haben, in dem er „keine Kompromisse mit dem Staat“ gemacht habe. Kaypakkayas Analysen werden insbesondere für die Jugend als wegweisend beschrieben und sein Kampf sei nicht Geschichte, sondern: „Er ist lebendig, aktuell und notwendig!“.

Reichweite vergrößern, Zielpublikum erweitern
Um ein möglichst breites Publikum anzusprechen, teilen die Jugendgruppen ihre Beiträge zunehmend auf Deutsch. Diese Entwicklung ist insbesondere bei der Stuttgarter Ortsgruppe von YS zu beobachten. Über ihren Instagram-Account wurde am 11. Mai 2025 eine deutschsprachige Ankündigung für einen „Ivana Hoffmann Brunch“ im linksextremistischen Szeneobjekt „Linkes Zentrum Lilo Herrmann“ in Stuttgart verbreitet. Bei dem Brunch sollte thematisiert werden, wer Ivana Hoffmann war und welche Bedeutung sie hat, aber auch die aktuelle Lage in der Türkei und in Kurdistan.
Der Brunch sollte angelehnt an das „Ivana-Hoffman-Festival“ stattfinden. Das Festival wurde in diesem Jahr am 7. Juni in Duisburg durchgeführt und ist eine jährliche Märtyrergedenkveranstaltung von der MLKP und YS. Ivana Hoffmann war Mitglied beider Organisationen und starb 2015 im Alter von 19 Jahren als erste deutsche Staatsangehörige bei Gefechten gegen den „Islamischen Staat“ (IS) im mehrheitlich von Kurden besiedelten und als „Rojava“ bezeichneten Gebiet in Nordsyrien. Innerhalb der MLKP und von YS wird sie bis heute als „unsterbliche Märtyrerin“ verehrt.
Abseits ihrer originären Inhalte beteiligen sich die Jugendgruppen an Aktionsfeldern anderer extremistischer Milieus, wie dem säkularen propalästinensischen oder dem kurdischen. Auf diese Weise vergrößern sie ihre Reichweite. So teilte die Stuttgarter YS-Ortsgruppe auf Instagram am 17. Juni 2025 eine Ankündigung für eine Demonstration. Diese war am 21. Juni 2025 auf dem Stuttgarter Rotebühlplatz geplant und stand unter dem Motto „Stoppt den Genozid in Gaza“. Laut dem Flyer wurde die Demonstration von einem Bündnis verschiedener Stuttgarter Gruppierungen organisiert. Zu diesem gehören neben den Ortsgruppen von YS, SYM und YDG auch die linksextremistische Gruppe „Offenes Treffen gegen Krieg und Militarisierung“ Stuttgart (OTKM Stuttgart) sowie das „Palästinakomitee Stuttgart e. V.“ (PAKO). Letztere ist dem säkularen propalästinensischen Extremismus zuzuordnen. Im Nachgang zur Veranstaltung teilte YS Stuttgart ein Bild der Demonstration mit einem Banner, das den Schriftzug „Palästina Kurdistan Intifada Serhildan“ und das Logo von YS trägt. Sowohl das arabische Wort „Intifada“ als auch der kurdische Begriff „Serhildan“ bedeuten in diesem Zusammenhang sinngemäß „Aufstand“ oder „Revolte“. Der Aufruf zum Widerstand in Palästina und in Kurdistan wird durch die Aussage in der Bildbeschreibung „Es lebe der Widerstand" zusätzlich bekräftigt.

Bewertung
Jugendgruppen sind im türkischen Linksextremismus ein essenzielles Instrument, um den Fortbestand der Organisationen zu sichern. Mit ihren Aktivitäten und insbesondere ihrem Auftritt in den sozialen Medien sprechen sie ein breites jugendliches Publikum an, um auf diese Weise neue Anhängerinnen und Anhänger zu mobilisieren. Anstatt nur originäre und wiederkehrende Themen und Anlässe zu besprechen, diskutieren und hinterfragen sie deren gegenwärtige Bedeutung. So gestalten sie ihre Veranstaltungen aktueller und damit attraktiver.
Indem sie zunehmend deutschsprachige Inhalte verbreiten und aktuelle gesellschaftspolitische Themen aufgreifen, stärken die Jugendgruppen zusätzlich die Anschlussfähigkeit der eigenen Positionen. Zuletzt versuchen sie auch über gemeinsame Aktionen mit Akteuren des propalästinensischen säkularen und des kurdischen Extremismus, ihre Reichweite zu vergrößern und ihr Mobilisierungs- und Rekrutierungspotenzial zu steigern.
Fußnote
[1] Interne Streitigkeiten führten zu einer Spaltung der TKP/ML, die in den Jahren 2019/2020 zwei eigenständige Organisationen mit nahezu gleichen Bezeichnungen hervorbrachte: die „Kommunistische Partei der Türkei-Marxisten-Leninisten“ („Türkiye Komünist Partisi-Marksist-Leninist“, TKP-ML) und die neue „Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten“ („Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist“, TKP/ML). Quelle: Kompendium des BfV. Darstellung ausgewählter Arbeitsbereiche und Beobachtungsobjekte, Herausgeber: Bundesamt für Verfassungsschutz, 2024. [zurück]