In Baden-Württemberg gibt es drei Dachverbände der türkisch-rechtsextremistischen „Ülkücü“-Bewegung („Idealisten“-Bewegung) mit 49 Mitgliedsvereinen. Im größten Dachverband, der „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V.“ (ADÜTDF) sind Jugendfunktionäre Teil der hierarchischen Strukturen. Sie sind oft für ein Gebiet zuständig, das mehrere Vereine umfasst. Zudem gibt es in den ADÜTDF-Vereinen teils eigene Jugendabteilungen, wie etwa in der „Türkischen Gemeinschaft in Heilbronn e. V.“. Die „Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e. V.“ (ATIB) ist der zweitgrößte Dachverband und verfügt über eine bundesweite Jugendorganisation. Auch hier gibt es in den Mitgliedsvereinen eigene Jugendabteilungen, beispielsweise im „Türkischen Kultur Zentrum Herrenberg und Umgebung e. V.“.
Gezielte Angebote für Jugendliche
Veranstaltungen für Jugendliche wirken zunächst meist harmlos. Ihre ideologische Komponente zeigt sich erst bei genauem Hinsehen. So auch beim Jugendtreffen des ADÜTDF-Vereins „Türkische Gemeinschaft Organisation im Raum Reutlingen u. Umgebung e. V.“ im Juli 2024. Neben kreativen und sportlichen Aktivitäten gab es einen Tisch mit Bildern von Alparslan Türkeş. Um den 1997 verstorbenen Gründer der rechtsextremistischen türkischen „Partei der Nationalistischen Bewegung“ (MHP) herrscht bis heute unter Anhängern des türkischen Rechtsextremismus, die auch „Graue Wölfe“ genannt werden, ein stark ausgeprägter Führerkult. Die ADÜTDF vertritt die Interessen der MHP in Deutschland. In einem der Texte zu den Bildern heißt es:
„Mein Führer, als deine Nachkommen:
Wie gestern so auch heute und morgen werden wir dein Vermächtnis mit großem Glauben und Entschlossenheit bewahren, ohne von deinem Weg abzuweichen. Das Erbe, das du hinterlassen hast, wird über Generationen hinweg geschützt werden. Deine Nachkommen werden dich niemals vergessen.“
Der Text verdeutlicht den Führerkult und den Willen, Türkeş‘ Vermächtnis zu erhalten. Dies beinhaltet seine Ideologie, die von der Überhöhung des „Türkentums“, der Befürwortung eines autoritären Regimes und dem Streben nach einem „Großtürkischen Reich“ geprägt ist. Auf einem Gruppenbild inszenieren sich die Teilnehmenden des Jugendtreffens durch das Zeigen des Wolfsgrußes. Der Wolfsgruß ist eine der bekanntesten Gesten der „Ülkücü“-Szene und kann als Bekenntnis zur türkisch-rechtsextremistischen Ideologie gewertet werden. Dies gilt auch, wenn Anhänger versuchen, die Geste zu verharmlosen. Der Wolfsgruß wird jedoch nicht von allen türkischen Rechtsextremisten verwendet und von manchen sogar aufgrund seiner Eindeutigkeit vermieden.
Zugehörigkeitsgefühle durch (über)regionale Vernetzung stärken
Mithilfe überregionaler Veranstaltungen versuchen die Dachverbände, jugendliche Anhänger zu vernetzen. Am 12. Juli 2025 fand ein zentrales Jugendtreffen eines ADÜTDF-Gebiets in Baden-Württemberg mit Teilnehmenden aus mehreren Vereinen statt. Im Mitgliedsverein „Türkische Gemeinschaft in Heilbronn e. V.“ wurde bereits am 19. März 2023 ein überregionales Treffen für ADÜTDF-Jugendfunktionäre durchgeführt. Dabei waren im Hintergrund des Rednerpults die Logos des bundes- und europaweiten ADÜTDF-Dachverbands sowie Bilder ideologischer Vordenker zu sehen. Von links nach rechts sind der aktuelle MHP-Vorsitzende Devlet Bahçeli, Mustafa Kemal Atatürk [1] sowie Alparslan Türkeş abgebildet. Ebendiese Bilder sind in der gleichen Anordnung typisch für ADÜTDF-Vereine. Sie dienen in deren Räumlichkeiten oft als Wandschmuck.
Am 26. und 27. April 2025 veranstaltete die ATIB ein Frühlingsjugendtreffen Baden-Württemberg. Das Programm umfasste ein Fußballturnier in Sindelfingen, ein kulturelles Abendprogramm im ATIB-Verein „Türkisches Kultur Zentrum Herrenberg und Umgebung e. V.“ und einen Besuch im ATIB-Verein „Türkisches Kultur Zentrum“ in Horb am Neckar. An der Veranstaltung nahm der Bundesvorsitzende der ATIB-Jugendorganisation teil. Im Nachgang wurde in einem Instagram-Beitrag der ATIB-Jugendorganisation betont, dass es solche Veranstaltung in Zukunft häufiger in verschiedenen Regionen geben soll.
Die Dachverbände und Vereine fördern auch die digitale Vernetzung. Insbesondere auf Instagram gibt es einige Konten von Jugendorganisationen und -abteilungen. Sie teilen vor allem Veranstaltungsankündigungen und -berichte. Es werden aber auch Beiträge zu szenetypischen Anlässen, wie dem Gedenken an ideologische Vordenker, verbreitet.
Bewertung
Die Ansprache von Jugendlichen ist ein elementarer Teil der Strategie von türkisch-rechtsextremistischen Strukturen in Baden-Württemberg. Mit Angeboten wie sportlichen Aktivitäten oder gemeinsamen Essen richten sie sich gezielt an Jugendliche. Zudem ist die Jugendarbeit fest in den Strukturen der Dachverbände verankert. Dies spiegelt ihren hohen Stellenwert wider und zeigt, welche Bedeutung die Jugendarbeit für die Gewinnung neuer Mitglieder hat – ein zentrales Ziel der Vereine. Um das Zugehörigkeitsgefühl zur „Ülkücü“-Bewegung zu stärken, wird außerdem die überregionale und digitale Vernetzung gefördert.
Dachverbände und Mitgliedsvereine bemühen sich um eine gemäßigte Außendarstellung, wodurch auch Veranstaltungen für Jugendliche zunächst harmlos wirken können. In ihrem Kern steht jedoch eine Ideologie, die von Rassismus, Antisemitismus und einer Überhöhung des Türkentums geprägt ist. Gegenüber Jugendlichen wird Deutschland oft als fremdes Land dargestellt, in dem es die eigene türkische Identität zu verteidigen gilt. Solche Narrative können eine desintegrative Wirkung entfalten – vor allem, wenn eine dauerhafte ideologische Indoktrination durch eine frühe und anhaltende Sozialisierung in den Vereinsstrukturen der drei türkisch-rechtsextremistischen Dachverbände gegeben ist.
[1] Der „Kemalismus“ prägt die politische Landschaft der Türkei bis heute. Sie besteht aus den sechs Prinzipien Nationalismus (Milliyetcilik), Populismus (Halkcilik), Republikanismus (Cumhuriyetcilik), Laizismus (Laiklik), Etatismus (Devletcilik) und Reformismus (Inkilapcilik). Auch wenn er im türkischen Rechtsextremismus weit verbreitet ist, so ist er für sich genommen nicht als rechtsextremistisch zu bewerten. Bei den meisten Kemalisten handelt es sich nicht um türkische Rechtsextremisten. (>zurück)