Rechtsextremismus

„Offensive 2020“ von „Aufbruch“: ein verschwörungsideologisches Lied aus Baden-Württemberg über die Corona-Pandemie


In rechtsextremistischen Liedtexten finden sich immer wieder verschwörungsideologische Motive. Ein spezielles aktuelles Beispiel ist das Lied „Offensive 2020“, in dem die Mannheimer Band „Aufbruch“ die Corona-Situation aufgreift und entsprechend deutet. Allerdings bleibt im Dunkeln, wen genau der Verfasser hinter der suggerierten Corona-Verschwörung vermutet – möglicherweise aus Kalkül. 

Die Konstruktion von Feindbildern und Verschwörungsideologien gehört zu den zentralen Strukturmerkmalen extremistischer Ideologien. Beides dient u. a. zur Selbstvergewisserung und -aufwertung, zur simplifizierenden Welterklärung, aber auch zur delegitimierenden oder dämonisierenden Agitation gegen ihnen verhasste Personengruppen (z. B. Juden), Institutionen (z. B. „die Wall Street“ als Synonym für das New Yorker Börsen- und Bankenwesen oder einfach für die „jüdisch beherrschten“ USA) oder gegen politische Systeme (z. B. die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland). Daher war von Anfang an zu erwarten, dass deutsche Rechtsextremisten das Jahrhundertereignis der Corona-Pandemie für sich und ihre Propaganda verschwörungsideologisch einordnen, instrumentalisieren und den für ihre ideologische Weltsicht typischen Feindbildern in die Schuhe schieben würden. 

Im Internet und in Szenepublikationen ist das bereits seit spätestens Frühjahr 2020 zu beobachten. Mittlerweile liegen auch erste musikalische Verarbeitungen dieses Stoffes aus der Szene vor. Das ist erwähnenswert, da zum einen das Texten, Einspielen und Veröffentlichen von Liedern auf CDs einen erheblichen Zeitvorlauf erfordert. Zum anderen werden rechtsextremistisch-verschwörungsideologische Positionen zur Corona-Pandemie auf diese Weise auch in die „Erlebniswelt Rechtsextremismus“  eingespeist, die gerade für junge Menschen potenziell attraktiv ist. Gegenstand der folgenden Analyse ist ein solches rechtsextremistisches Lied mit inhaltlichem Bezug zur Corona-Pandemie: das Stück „Offensive 2020“ der baden-württembergischen Band „Aufbruch“ aus dem Jahr 2020.

1. Eine Verschwörungsideologie – was ist das?

Aus Sicht des Brühler Soziologen und Politologen Armin Pfahl-Traughber geht eine Verschwörungsideologie nicht nur „von der Annahme einer Verschwörung für das Zustandekommen bestimmter Ereignisse aus“, sondern ist speziell dadurch gekenn-zeichnet, dass sie „nicht durch gegenteilige Beweise korrekturfähig“ ist. Pfahl-Traughber spricht daher von einer „festgefügte[n], monokausale[n] und stereotype[n] Einstellung.“
„Als eine Sonderform oder Übersteigerung der Verschwörungsideologie“  interpretiert Pfahl-Traughber den Verschwörungsmythos: In Verschwörungsideologien, z. B. bei der rein fiktiven „jüdischen Weltverschwörung“, existieren die angeblich konspirierenden Gruppen tatsächlich, in diesem Fall die Juden an sich. In Verschwörungsmythen sind schon die betreffenden Gruppen an sich nicht existent. Verschwörungsmythen und -ideologien sind nicht immer trennscharf abzugrenzen und können ineinander übergehen.

Laut Pfahl-Traughber sind von „Verschwörungsideologie“ und „Verschwörungsmythos“ noch wenigstens zwei Begriffe zu unterscheiden: Die Verschwörung unterscheidet sich von Verschwörungsideologien und -mythen vor allem dadurch, dass sie real ist oder war; ein historisches Beispiel sind die Ereignisse um das Hitler-Attentat vom 20. Juli“ 1944. Vertreter von Verschwörungsthesen bzw. -hypothesen zeigen sich im Idealfall offen für Gegenargumente und Widerlegungen und sind in der Konsequenz auch bereit, ihre Thesen zu revidieren oder zurückzunehmen.

2. Der Liedtext 

2020 veröffentlichte die 1996 gegründete rechtsextremistische Band „Aufbruch“ aus Mannheim ihre neueste CD „Im Nebel der Zeit“ mit insgesamt zwölf Liedern. Gleich der erste Titel, „Offensive 2020“, beinhaltet eine verschwörungsideologische Verar-beitung der Corona-Thematik. Die gesungene Textversion, die sich von der im Booklet abgedruckten Fassung nur relativ geringfügig unterscheidet, lautet wie folgt:

„2020 ihre Offensive ist in vollem Gange
Macht man den Menschen mit einem Virus bange!
Der Virus, nicht schlimmer als eine Grippe über allem schwebt
Das Land und der Kontinent im Stillstand steht!

[2 x Refrain:] Das Unwort des Jahres Corona ist gebor’n
Die Umgestaltung der Gesellschaft die NWO prescht nach vorn!

Wir soll’n zuhause vereinsamen, nicht mit Bargeld bezahlen.
Wir sollen ihnen alles glauben und bloß nichts kritisch hinterfragen.
Sonst würde man die Pandemie als Propaganda entlarven
Und erkennen ihr wahres Vorhaben.

[2 x Refrain]

Masken, Zwangsimpfungen, Tracking-App und Ausgangssperren,
Alles zum Wohle der Menschheit lasst euch nicht für dumm verkaufen.
Wacht auf hier geht es um uns’re Freiheitsrechte
Oder wollt ihr ein Leben führen als ihre Knechte.

Wacht endlich auf es geht um uns’re Freiheitsrechte
Lieber stehend sterben als ein Leben zu führen als ihre Knechte.

[2 x Refrain] 

[Wiedergabe nach akustischem Verständnis. Es wurden lediglich die im Booklet vorhandenen Satzzeichen eingefügt.]

3. Verschwörungsideologischer Gehalt

Wider alle dramatischen Realitäten – allein Deutschland hatte bis zum 1. April 2021 über 75.000 COVID-19-Todesfälle zu verzeichnen – bestreiten „Aufbruch“ in ihrem Lied „Offensive 2020“, dass es überhaupt eine Corona-Epidemie gibt: Die angebliche Pandemie sei lediglich eine „Propaganda“-Lüge, das Virus „nicht schlimmer als eine Grippe“, die verbreitete Angst davor demzufolge unberechtigt und künstlich geschürt.

Basis des Liedes sind also faktenwidrige Behauptungen. Gemäß der darauf aufbauenden Logik fehlt den nationalen wie internationalen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie jede Berechtigung: „Masken, Zwangsimpfungen, Tracking-App und Ausgangssperren“ dienen laut „Aufbruch“ nicht dem Gesundheitsschutz der Menschen, sondern sind, nach Meinung des Verfassers, ganz im Gegenteil ein Anschlag auf „uns’re Freiheitsrechte“. Der Text unterstellt, die Vereinsamung der Menschen (u. a. durch Quarantänemaßnahmen, Reisebeschränkungen, Aufrufe zum Daheimbleiben oder auch Homeoffice), werde ganz gezielt betrieben („Wir soll’n zuhause vereinsamen“). Mutmaßlich sollen sie dazu führen, dass sich die dann verbleibenden „Sozialatome“ – eine Vokabel von Rechtsextremisten für den aus ihrer Sicht in und durch die westliche Moderne ohnehin vereinzelten, entsolidarisierten, jeder natürlichen Gemeinschaft beraubten und entfremdeten Menschen – umso leichter überwachen und beherrschen lassen. 

Dass „Aufbruch“ in diesem Zusammenhang den pandemiebedingten Aufruf zur bargeldlosen Zahlung problematisiert („Wir soll’n (…) nicht mit Bargeld bezahlen“), weist in seinem rechtsextremistisch-verschwörungsideologischen Subtext sogar über die aktuelle Situation hinaus: Schon seit Jahren ist unter deutschen Rechtsextremisten das Narrativ verbreitet, „das System“ oder andere böswillig-verschwörerische Mächte planten, in Deutschland (aber auch anderswo) das Bargeld abzuschaffen. Ziel ist es demnach, die Menschen möglichst perfekt zu überwachen (z. B. ihr Ausgabeverhalten und ihre Aufenthaltsorte) und sie von Banken sowie Formen des virtuellen Zahlungsverkehrs abhängig zu machen; eine dieser Maßnahmen soll die Enteignung mittels Negativzinsen sein. So ist ein diesbezügliches, relativ aktuelles Flugblatt der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ überschrieben mit „PRO BARGELD – GEGEN DIE TOTALE ÜBERWACHUNG!“.

Nach Logik und Überzeugung von „Aufbruch“ handelt es sich also bei der Corona-Pandemie um einen bewusst in die Welt gesetzten Fake, mindestens aber um eine maßlose Übertreibung. Die Schutzmaßnahmen gegen die Pandemie sind demzufolge illegitime Methoden, um die Menschen (noch) besser zu kontrollieren. Hinter der „angeblichen“ Pandemie und deren Bekämpfung steckt nach dieser Auffassung in Wahrheit ein anderes, „wahres Vorhaben“, das auf eine – offensichtlich sehr grundsätzliche – „Umgestaltung der Gesellschaft“ abzielt. Ziel soll eine „NWO“ sein, in der rechtsextremistischen Szene das Kürzel für „Neue Weltordnung“ (bzw. „New World Order“). Dahinter verbirgt sich in der Szene ein ganzes Konglomerat an verschwörungsideologischen Vorstellungen, die jedoch in dem Lied „Offensive 2020“ nicht näher konkretisiert werden. 
Der Liedtitel deutet darüber hinaus zumindest an, dass die Corona-Pandemie (bzw. deren Vorspiegelung von interessierter Seite) nur die neueste Phase eines übergeordneten, bereits länger andauernden Krieges der angeblichen Verschwörer gegen die Menschheit sein soll, ähnlich einer Frühjahrsoffensive in einem realen Krieg.

Im gesamten Liedtext bleiben diejenigen, die hinter dieser vermeintlichen Verschwörung namens „Corona“ bzw. „NWO“ stecken sollen, völlig anonym. Die einzigen diesbezüglichen Angaben beschränken sich auf nichtssagende Begriffe wie „ihre“, „ihnen“ oder gar „man“. Auch ob das, was sich hinter der „NWO“ verbergen soll, in diesem Fall (auch) im antisemitischen Sinne interpretiert werden kann, bleibt vollständig offen. Hier ist allerdings ein Querverweis auf ein anderes Lied von der CD „Im Nebel der Zeit“ von „Aufbruch“ interessant: Im Text von „NATO“ finden sich Hinweise, dass Antisemitismus der Band doch nicht gänzlich fern zu liegen scheint. Darin dämonisiert die Band nicht nur in szenetypischer Manier das westliche Verteidigungsbündnis, sondern propagiert auch einen codierten Antisemitismus. So heißt es im Refrain: 

„NATO – DER PAKT DES TEUFELS
NATO – KRIEGSTREIBER[,] AUF DEN JEDER AUSERWÄHLTE SCHWÖRT.“ 

[Wiedergabe gemäß der Textversion im Booklet, die von der tatsächlich gesungenen Variante in Teilen abweicht.]

Der Begriff „AUSERWÄHLTE“ ist ein von rechtsextremistischen Antisemiten häufig verwendetes Synonym für „Juden“. Konkret wird den Juden hier unterstellt, sie würden sich auf den „PAKT DES TEUFELS“ und „KRIEGSTREIBER“ NATO verlassen; offenbar soll ihnen diese als Machtinstrument bei der angeblichen Errichtung einer jüdischen Weltherrschaft dienen. Das den Juden unterstellte Streben nach der Weltherrschaft ist eine zentrale, spätestens dem 19. Jahrhundert verbreitete ideologische Obsession deutscher und anderer Antisemiten. Passend dazu heißt es in einer der Strophen des Liedes „SIE ARBEITEN AN DER ONE-WORLD-DIKTATUR.“ – letzteres ist in der rechtsextremistischen Terminologie eine Art Synonym für die „NWO“. Das „SIE“ wird jedoch nicht weiter konkretisiert. 

Wenn deutschsprachige rechtsextremistische Antisemiten Juden als „Auserwählte“ oder auch „auserwähltes Volk“ bezeichnen, steckt dahinter kein einfacher, womöglich sogar wertfreier Bezug auf theologische Texte. Vielmehr ist damit immer der Vorwurf verbunden, die Juden würden sich als Volk anderen Völkern gegenüber als auser-wählt und damit als überlegen betrachten und daraus einen weitreichenden Herrschaftsanspruch über alle anderen Menschen und Völker ableiten, der in letzter Konsequenz auf Ausbeutung und schließlich Vernichtung dieser Völker hinauslaufe. Aus diesem Vorwurf haben Antisemiten – nicht zuletzt die deutschen Nationalsozialisten – immer wieder eine angebliche Notwehrsituation abgeleitet und daher die Entrechtung, Deportation und letztlich Vernichtung der Juden gefordert.

Trotz dieses Querverweises bleibt offen, ob auch die von „Aufbruch“ in dem Lied „Offensive 2020“ eingeflochtene verschwörungsideologische Dimension antisemitisch gemeint ist oder nicht. Diese Anonymisierung sollte jedoch nicht als inhaltliche Schwäche des Liedes oder Ausdruck dichterischen Unvermögens der Band verstanden werden, das aus anderen Gründen außer Frage steht. Vielmehr vermeidet „Aufbruch“ durch das Verharren im Nebulösen die Gefahr juristischer Konsequenzen. 

Zudem bietet die Band mit dem Lied „Offensive 2020“ den adressierten Gesinnungsgenossen eine Art Passepartout: Jeder rechtsextremistische Hörer kann darin dasjenige Feindbild einpassen, das ihm in diesem Zusammenhang ideologisch am ehesten passend erscheint oder einfach sein „Lieblingsfeindbild“ ist, z. B. eben „das Judentum“.

4. Martialischer Subtext 

Wie oben erwähnt, deutet schon der Liedtitel „Offensive 2020“ zumindest an, dass die Corona-Pandemie lediglich die neueste Phase eines übergeordneten, bereits länger andauernden Krieges der angeblichen Verschwörer gegen die Menschheit sei. Schon der Titel zieht das Lied also ins Martialische. Zudem assoziiert der ideologisch-terminologisch geschulte Rechtsextremist mit einem Begriff wie „Offensive“ ohnehin Begriffe wie die „Frühjahrsoffensive 1942“, zumal, wenn er den gesamten Liedtext dabei vor Augen hat. 

Das ist allerdings nicht der einzige Hinweis auf einen martialischen Subtext des Liedes. Aussagekräftiger noch ist die letzte Zeile, bevor das Lied mit dem zweimaligen Absingen des Refrains endet: „Lieber stehend sterben als ein Leben zu führen als ihre Knechte.“ Damit werden die Adressaten des Liedes in letzter Konsequenz dazu aufgefordert, im Kampf gegen die „NWO“ lieber den Tod zu wählen als ein Leben in dieser Ordnung und damit in Knechtschaft zu ertragen.

Das ist noch kein direkter Aufruf zur Gewalt, hier zur Gewaltanwendung im angeblichen Kampf gegen eine „NWO“. Doch Aussagen wie diese bedienen das zumal in der deutschen Neonaziszene weit verbreitete Selbstverständnis als „Politische Soldaten“ – das in letzter Konsequenz auch das Selbstbild eines physischen, tatsächlich zur Waffe greifenden Kämpfers umfasst.

5. Fazit

Auf den ersten Blick ist das Lied „Offensive 2020“ der rechtsextremistischen Band „Aufbruch“ aus Mannheim nur ein weiteres Beispiel für die musikalischen Erzeugnisse des deutschen Rechtsrock: textlich, musikalisch und gesanglich letztlich primitiv und voller Hass. Bei genauerer Analyse gewährt es jedoch einen wenigstens etwas tieferen, wenn auch kurzen Einblick in die Dimensionen verschwörungsideologischer Realitätsverweigerung, die in der – zumal dezidiert – rechtsextremistischen Szene gang und gäbe sind.

Inwieweit die verschwörungsideologische Interpretation der Corona-Pandemie, die „Aufbruch“ mit „Offensive 2020“ anbietet, bei den meist jugendlichen Adressaten solcher Musik verfangen wird, ist nur schwer abzuschätzen. Das gilt auch für rechtsextremistisch-ideologische Deutungen der Corona-Pandemie insgesamt. Die Attraktivitätspotenzial solcher Deutungen wird ebenso davon abhängen, welche Dimensionen die aktuelle Corona-Krise in der bundesdeutschen Gesellschaft noch annehmen wird und welche (z. B. ökonomischen bzw. sozialen) Verwerfungen mit ihr noch verbunden sein werden. Bei bereits überzeugten Rechtsextremisten, die Terminologie und Andeutungen des Liedtextes zu lesen wissen, rennt ein Werk wie dieses jedoch mit Sicherheit schon jetzt offene Türen ein.



Quellennachweise:

  • Zur „Erlebniswelt Rechtsextremismus“ vgl. beispielsweise: Thomas Pfeiffer, Menschenverachtung mit Unterhaltungswert. Musik, Symbolik, Internet – der Rechtsextremismus als Erlebniswelt, in: Stefan Glaser/Thomas Pfeiffer (Hrsg.), Erlebniswelt Rechtsextremismus. modern – subversiv – hasserfüllt. Hintergründe und Methoden für die Praxis der Prävention, Bonn 2017, S. 1–64. 
  • Begriffsdefinitionen Verschwörungsideologie/Verschwörungsmythos: Armin Pfahl-Traughber, Freimaurer und Juden, Kapitalisten und Kommunisten als Feindbilder rechtsextremistischer Verschwörungsideologien vom Kaiserreich bis zur Gegenwart, in: Uwe Backes (Hrsg.), Rechtsextreme Ideologien in Geschichte und Gegenwart, Köln 2003, S. 193–234, Zitate S. 197.
  • Anzahl der Corona-Infektionen bundesweit: COVID-19-Dashboard des Robert-Koch-Instituts vom 1. April 2021 auf experience.arcgis.com. 

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