Rechtsextremismus | Reichsbürger und Selbstverwalter | Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates | Linksextremismus

Zunehmende Radikalisierung des extremistischen Teils der Protestbewegung gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie

Mit fortlaufender Dauer der Corona-Pandemie sowie weiteren Maßnahmen zu deren Eindämmung steigt die Gefahr der Radikalisierung in mehreren extremistischen Milieus. Insbesondere bei den Akteuren der „Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“, unter „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ sowie unter Rechtsextremisten lösen die staatlichen Maßnahmen starke Gegenreaktionen aus. Dies wiederum befördert Mobilisierungen im linksextremistischen Spektrum. In den unterschiedlichen Milieus finden sich Begründungen zum vermeintlich legitimen Widerstand, die bereits zu gewaltbezogenen Eskalationen geführt haben und auch in Zukunft wieder führen können.

„Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“

Staatliche Maßnahmen wie die in Politik und Medien diskutierte allgemeine oder berufsspezifische Impfpflicht werden fortwährend von Personen aus dem Bereich der „Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“ aufgegriffen. Die Szene sieht sich in ihren Einschätzungen bestätigt, der Staat entwickle sich in Richtung einer Diktatur oder übe bereits diktatorische Gewalt aus. Nach wie vor verbreiten szenebekannte Impfgegner Nachrichten zu vermeintlichen Impftoten sowie Falschinformationen zur Wirkweise der verschiedenen Impfstoffe. Darüber hinaus werden vereinzelt hochgefährliche Methoden empfohlen, um die angeblichen Giftstoffe der Immunisierung wieder aus dem Körper auszuleiten: Geimpfte Kinder sollen demnach beispielsweise Bleichmittel einnehmen, um die als schädigend wahrgenommene Impfung rückgängig zu machen.

Zwar distanzierte sich „Querdenken 711“ von Ausschreitungen, zu denen es bei Protesten gegen die staatlichen Maßnahmen in europäischen Nachbarländern kam. Jedoch muss davon ausgegangen werden, dass Akteure im Umfeld der Proteste durch die drastischen und verschwörungsideologisch aufgeladenen Falschinformationen zu einer aus deren Sicht notwendigen, im äußersten Fall auch gewaltbezogenen „Gegenwehr“ aufgehetzt werden. Die tatsächliche Einführung einer Impfpflicht bzw. deren konkrete Ankündigung würde diese Gefahr noch einmal erheblich steigern.

 

„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“

In Teilen des Milieus der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ entwickeln sich die Reaktionen auf die staatlichen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie seit Mitte 2021 in eine bedenkliche Richtung. Die Verantwortlichen für die Umsetzung der staatlichen Maßnahmen werden direkt verbal angegriffen. Hierbei nutzen „Reichsbürger“ verstärkt Bezüge auf das S.H.A.E.F., das 1943 gegründete und kurz nach Kriegsende wieder aufgelöste Hauptquartier der US-Streitkräfte in Nordwest- und Mitteleuropa. Die „Reichsbürger“ gehen von der Gültigkeit und (bevorstehenden) Umsetzung der S.H.A.E.F.-Militärgesetze aus, denen zufolge Politiker und andere Verantwortliche für die Maßnahmen zu verurteilen und zu sanktionieren seien. Auch von „Todesstrafen“ ist hierbei die Rede. Als neues Feindbild der Extremisten fungieren außerdem Lehrkräfte, die über die pseudojuristische „Reichsbürger“-Argumentation und die Androhung drakonischer Strafen eingeschüchtert und gänzlich zur Niederlegung ihrer Arbeit genötigt werden sollen. Das Ziel der „Reichsbürger“ besteht hierbei offenkundig in der Beendigung der Corona-Maßnahmen, insbesondere in Bezug auf (schulpflichtige) Kinder.

Es ist davon auszugehen, dass die aggressive Kriegsrhetorik von der Verschärfung der staatlichen Maßnahmen weiter befördert wird. „Reichsbürger“ fühlen sich in ihren pseudojuristischen Ansichten gegenüber staatlichen Repräsentanten überlegen und zu verbaler und körperlicher Gegenwehr „berechtigt“, da die den Feindbildern zugerechneten Personen angeblich über keinerlei hoheitliche Befugnisse verfügten und dementsprechend widerrechtlich handelten.

In Verbindung mit der S.H.A.E.F.-Thematik fanden im Dezember 2021 bereits Festnahmen und Durchsuchungsmaßnahmen in Baden-Württemberg statt.

 

Rechtsextremismus

Auch im (gewaltorientierten) Rechtsextremismus führen die staatlichen Maßnahmen gegen Corona vereinzelt zu stark beschleunigten Radikalisierungsverläufen. Bei ungeimpften Rechtsextremisten entsteht durch die Verschärfung der Beschränkungsmaßnahmen teilweise die Überzeugung, sich in einer vom Staat erzeugten, existentiellen Notlage zu befinden. Auch hier spielen extremistische Verschwörungsideologien eine entscheidende Rolle, nach denen die Corona-Pandemie als Maßnahme zur Bevölkerungsdezimierung einer Staats- oder Wirtschaftselite oder als weltumfassende Gleichschaltungsstrategie mit menschenfeindlichem Hintergrund dargestellt wird. Bekannte rechtsextremistische Parteien wie die NPD, „Der III. Weg“ sowie „DIE RECHTE“ lehnen die staatlichen Maßnahmen ab.

Die „Identitäre Bewegung“ (IB) schürte in einem Online-Artikel Ängste vor staatlichen Maßnahmen und sprach dabei mehrfach von einer drohenden „Vernichtung“. Gleichzeitig kritisieren IB-Anhänger den Personaleinsatz der Polizei bei Anti-Corona-Demonstrationen. Mit Bannerkampagnen der Gruppierung ist auch in Baden-Württemberg zu rechnen, nachdem entsprechende Aktionen bereits andernorts in Deutschland oder Österreich durchgeführt wurden. IB-Gruppen zeigten dort Banner mit Slogans wie „Kontrolliert die Grenze nicht euer Volk“ oder „Heimatschutz statt Mundschutz“, um migrationsfeindliche Inhalte in der Diskussion um die Pandemie-Eindämmung zu platzieren.

Neben der „Identitären Bewegung Baden“ mobilisiert auch die „Junge Alternative Baden-Württemberg“ für verschiedene Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen im Dezember 2021. 

Die „Identitäre Bewegung Baden“ mobilisiert zudem über zwei Social-Media-Kanäle für eine Demonstration gegen die aktuellen Corona-Maßnahmen und die Impfpflicht am 11. Dezember 2021 in Stuttgart. Veranstaltungsorganisator ist der AfD-Landesverband Baden-Württemberg. Auffallend ist jedoch, dass die AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative Baden-Württemberg“ nicht für eine Teilnahme an der Veranstaltung aufruft. Stattdessen mobilisiert sie vielmehr für eine Demonstration am selbigen Tag in Berlin. 

Fazit und Ausblick

Zahlreiche extremistische Strömungen instrumentalisieren die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie und tragen zu einer weiteren Verbreitung der im Protestumfeld sowie über Messengerdienste verstärkt kommunizierten, unterschiedlich ausgestalteten Verschwörungsideologien bei. Impfgegner, „Corona-Leugner“, Politikverdrossene und „Verlierer“ der Krise werden von extremistischen Akteuren und Ideologien gezielt adressiert. Dadurch besteht die Gefahr einer extremistischen Vereinnahmung und zum Teil auch Radikalisierung dieser Personengruppen. Der Staat und seine Repräsentanten werden von den Extremisten nicht auf legitime Weise kritisiert, sondern massiv angefeindet. Insbesondere bei einer Verschärfung der Maßnahmen bis hin zu einer Impfpflicht sind auch gewaltbezogene Aktionen und Angriffe zu befürchten. 

Bei einer erneuten Zunahme der Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen kann wiederum von einer Steigerung linksextremistischer Gegenproteste ausgegangen werden. In diesem Zusammenhang kann es durch gewaltorientierte Linksextremisten zu Ausschreitungen und Angriffen gegen den „politischen Gegner“ sowie eingesetzte Polizeibeamte kommen. Zumindest in Teilen der Szene wird die Annahme vertreten, dass der Einsatz von Gewalt gegen Personen auch zukünftig ein legitimes Mittel im als solchen empfundenen „antifaschistischen Kampf“ darstellt. Dies wurde zuletzt vor allem durch einen linksextremistisch motivierten Angriff auf drei Männer im Kontext einer „Querdenken“-Demonstration am 16. Mai 2020 in Stuttgart-Bad Cannstatt deutlich. Obwohl eines der Opfer dabei lebensgefährlich verletzt wurde, gab es vonseiten der Szene zahlreiche Versuche, die Brutalität der Tat öffentlich zu rechtfertigen. 

Auch nach der pandemischen Lage ist von einem anhaltend hohen Potenzial für staatsfeindliche Einstellungen auszugehen. Zukünftige Krisen oder Einschränkungen, wie sie beispielsweise in Bezug auf die Bekämpfung des Klimawandels bevorstehen könnten, müssen – wenngleich solche Maßnahmen notwendig sein können – zugleich auch als Nährboden für die Radikalisierung von Einzelpersonen und Gruppierungen betrachtet werden.

Diese Website verwendet Cookies. Weitere Informationen erhalten Sie in der Datenschutzerklärung.