Rechtsextremismus

Nach Twitter-Übernahme durch Elon Musk: Akteure der „Identitären Bewegung“ sind zurück

Vor gut drei Jahren hatte der Kurznachrichtendienst Twitter im Zuge einer Sperrwelle auch zahlreiche rechtsextremistische Online-Profile der „Identitären Bewegung“ (IB) gelöscht. Seit der Übernahme des US-Konzerns durch den Unternehmer Elon Musk im Oktober 2022 deutet sich eine Kehrtwende an: Da unter Musk Beiträge mit Hass und Hetze wieder leichter veröffentlicht werden können, sind zahlreiche IB-Akteure – auch aus Baden-Württemberg – auf die inzwischen in X umbenannte Social-Media-Plattform zurückgekehrt. Dort können ihre Botschaften nun wieder ein potenziell riesiges Publikum erreichen.

Um die Verherrlichung von Gewalt und Terrorismus zu verhindern, hatte man im Juli 2020 beim Unternehmen Twitter – das Musk im Juli 2023 in X umbenannt hat – zahlreiche Online-Profile rechtsextremistischer Akteure gesperrt. Davon war die IB stark betroffen, ein Großteil ihrer Profile wurde gelöscht. Nachdem noch im selben Monat YouTube eine ähnliche Sperrwelle über die Videoplattform laufen ließ, verlagerte die IB ihre Online-Propaganda vor allem auf den Instant-Messaging-Dienst Telegram, der nicht nur bei Rechtsextremisten, sondern zum Beispiel auch bei „Reichsbürgern“ und in der Delegitimiererszene beliebt ist.

Wieder Profile von Verfassungsfeinden auf Twitter

Als dann Elon Musk im Oktober 2022 Twitter übernahm, zeichnete sich schnell ab, dass fortan weniger strikte Einschränkungen gelten würden. Daher richteten viele Rechtsextremisten sofort wieder Profile ein: Der Kanal „MSLive“ des österreichischen Rechtsextremisten Martin SELLNER beispielsweise war unmittelbar im Oktober 2022 erneut auf Twitter vertreten und generierte bis Mitte 2023 rund 11.300 Follower.

Auch baden-württembergische IB-Aktivisten sind inzwischen wieder auf der Plattform aufgetaucht, etwa die IB-Gruppe „Wackre Schwaben“. Mit rund 1.600 Followern zählt deren Auftritt zwar zu den kleineren X-Kanälen, kann durch Reposts von Inhalten anderer rechtsextremistischer Gruppen aus dem Bundesgebiet aber von deren Follower-Zahlen und Reichweiten profitieren. Denn Profile anderer rechtsextremistischer Akteure, wie das des COMPACT-Magazins oder des Vereins „Ein Prozent“, waren 2020 nicht von der Löschwelle erfasst worden und verfügen aktuell mit 35.800 beziehungsweise 18.600 Followern über wesentlich mehr digitale Anhänger.

Account des Vereins „Ein Prozent“ bei X

Account des Vereins „Ein Prozent“ bei X. (Foto: https://twitter.com/ein_prozent)

Auch zur „Jungen Alternative“ (Verdachtsfall) und zur „Alternative für Deutschland“ (AfD, Verdachtsfall) finden sich zahlreiche Verweise von IB-Accounts, etwas in Form von Reposts, Kommentaren und Likes, in einzelnen Fällen erfolgen umgekehrte Bezugnahmen. Zum Beispiel teilte die baden-württembergische AfD-Bundestagsabgeordnete Christina BAUM am 27. Februar 2023 mit mehreren Retweets Inhalte der „Wackren Schwaben“ auf ihrem eigenen Twitter-Kanal, was das IB-Profil damals postwendend mit den Worten „Vorbildlich Frau Baum!“ kommentierte.

Internationale Vernetzung von Rechtsextremisten

Daneben verweisen die „Wackren Schwaben“ auf Musks Plattform häufig auf gleichgesinnte Gruppen aus dem europäischen Ausland, zum Beispiel auf das Profil der „Jungen Tat“ aus der Schweiz. Das macht deutlich, dass Rechtsextremisten sich im digitalen Raum zunehmend über nationalstaatliche Grenzen hinweg vernetzen. Mit der „Jungen Tat“ führen die „Wackren Schwaben“ sogar gemeinsame Veranstaltungen durch und nutzen die Plattform dabei als Werbefläche. Gleichzeitig verbreiten die „Wackren Schwaben“ eigene Inhalte, wenn sie etwa über Aktionen in Baden-Württemberg berichten.

Besonders aktiv war man auf den Profilen im IB-Umfeld bei der Kampagne „Stolzmonat“ im Juni 2023, mit der man sich vor allem gegen den „Pride Month“ der LGBTQIA+-Bewegung wandte. Ein Ziel dieser Art von Online-Propaganda dürfte, neben der Verbreitung rechtsextremistischer Positionen und der Vernetzung innerhalb der Szene, die Anwerbung neuer Anhänger vor allem in der Region sein. Zudem wird für konkrete Veranstaltungen mobilisiert, beispielsweise regional für eine Wanderung im baden-württembergischen Rems-Murr-Kreis im Mai 2023 oder länderübergreifend für eine sogenannte Remigrationsdemo in Wien im Juli 2023. Unter Remigration verstehen IB-Anhänger die Rückführung von Migranten in ihre Herkunftsländer.

Tweet der „Wackren Schwaben“

Werbung der „Wackren Schwaben“ auf Twitter für eine Wanderung im Mai 2023.
(Foto: https://twitter.com/Wackre_Schwaben)

Doch auch unter Elon Musk scheint man, trotz inzwischen weniger strengen Umgangs mit Hass- und Hetzekommentaren, den auf der Plattform veröffentlichten Inhalten nicht völlig freien Lauf zu lassen: So beschwerten sich die „Wackren Schwaben“ im Mai 2023, Twitter habe einen ihrer Beiträge zensiert, in Deutschland seien von ihnen veröffentlichte Bilder nicht zu sehen, was die Gruppe als Versuch deutete, „patriotischen Protest klein zu halten“. Im August 2023 sperrte X schließlich den bereits erwähnten Kanal „MSLive“ von Martin SELLNER. Auf einem anderen, im Juni 2023 eingerichteten Kanal hat SELLNER aktuell jedoch knapp 2.500 Follower.

IB-Gruppen gewinnen Reichweite und Anhänger 

Alles in allem zeichnet sich ab, dass IB-Gruppen auf X, vormals Twitter, wieder an Präsenz gewinnen. Hier können sie nach Musks Kauf des Unternehmens inzwischen erneut ohne größere Einschränkungen ihre Inhalte verbreiten und für Aktionen werben. Mit typischen Inhalten und Hashtags wie etwa „#Remigration“ besteht das Risiko, dass die IB nicht nur regional sondern auch bundes- oder gar europaweit verstärkt Aufwind erfährt. Denn X eignet sich als Social-Media-Plattform, auf der getaggt, verlinkt oder gefolgt wird, auch für Rechtsextremisten bestens, um Reichweite zu erzielen und neue Anhänger zu gewinnen – wenn dort nun wieder seltener problematische Inhalte gesperrt werden, umso besser für die Verfassungsfeinde. Allerdings: Noch deutet nichts darauf hin, dass X alsbald Telegram als beliebteste Plattform in der IB-Szene ablösen wird.

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