Linksextremismus

Linksextremist aus Stuttgart untergetaucht

Ein gewaltorientierter Linksextremist aus Stuttgart müsste nach jetzigem Stand knapp vier Jahre in Haft – doch er ist untergetaucht. Die Gründe dafür hat der Mann, der unter anderem an der „Stuttgarter Krawallnacht“ beteiligt war, in einem Online-Statement erläutert. Es gibt Einblick in seine linksextremistisch geprägte Gedankenwelt.

„Ich habe beschlossen nicht in den Knast zu gehen…“. Unter dieser Überschrift hat der gewaltorientierte Linksextremist aus Stuttgart am 3. Mai 2023 auf der linksextremistischen Internetplattform „de.indymedia.org“ sein Untertauchen publik gemacht. Er schreibt:

„Am Ende der Diskussion habe ich mich dann dazu entschieden, mich bereits jetzt der Haftstrafe und der möglichen Gefahr von Haftbefehlen vor der endgültigen Rechtskraft der Urteile zu entziehen und unterzutauchen. […] dieser Schritt ist für mich einerseits die Konsequenz einer konsequenten revolutionären Linie […] und schafft andererseits neue Perspektiven und Potentiale für die revolutionäre Linke.“

Dann kommt er auf seine linksextremistische Gesinnung zu sprechen, indem er behauptet, dass bei seiner Entscheidung einer Haft zu entgehen auch „ein kleines bisschen Dogmatismus eine Rolle gespielt“ habe. Denn: „Kommunist:innen liefern sich nicht freiwillig der Klassenjustiz aus.“ Darüber hinaus führt er aus, dass weitestgehend legale Mittel zur Durchsetzung der politischen Ziele, genutzt werden sollten. Nicht jedoch beim Umgang mit seinem Strafmaß: „Bei längeren Haftstrafen relativiert sich das aber schnell und die möglichen Potentiale einer Alternative überwiegen. Das heißt sich außerhalb des Radars zu bewegen, wenn nicht mehr die Möglichkeit besteht, im legalen Bereich politisch aktiv zu sein.“ Die Formulierung „außerhalb des Radars“ bedeutet hier, die durch ein Gerichtsurteil bestätigten staatlichen Regeln bewusst zu umgehen, um eigene ideologische Ziele zu verfolgen. Im Linksextremismus sind das in der Regel beispielsweise die Abschaffung der bestehenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung oder der Kampf gegen Rechtsextremisten. 

Ablehnung des Rechtsstaates

Aus Sicht des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg spricht einiges für einen ernsthaften Untertauchversuch. So ließen bereits die vor Gericht üblichen „letzten Worte“ des Mannes bei seiner Verurteilung am 26. Oktober 2022 am Amtsgericht Stuttgart unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung keinen Zweifel an seiner linksextremistischen Ideologie und grundlegenden Ablehnung des Rechtsstaates. Er hatte erklärt, dass er Gewalt als legitimes Mittel seiner Meinungsäußerung und Auflehnung gegen den „kapitalistischen Staat“ und die „kapitalistische Gesellschaft“ ansehe. Seine Aufgabe als Revolutionär bestehe darin, „seine politische Überzeugung mit Gewalt gegen Personen und Sachen durchzusetzen“. Außerdem hatte er angekündigt, dass er auch „zukünftig entsprechende Straftaten begehen werde“.

In einem am 2. Februar 2023 veröffentlichten Interview mit dem nichtextremistischen „Lower Class Magazine“ äußert sich der inzwischen untergetauchte Linksextremist erneut zu seiner Verurteilung, die im Zusammenhang mit der „Stuttgarter Krawallnacht“ steht. Dabei kritisiert er das Vorgehen der Ermittlungsbehörden sowie der Justiz gegen die Beteiligten der „Krawallnacht“. Dem Interview ist zu entnehmen, dass die linksextremistische Szene in laufenden Gerichtsverfahren durchaus mit weiteren Haftstrafen rechnet und eine aktuelle Verschärfung der vermeintlichen staatlichen Repression wahrnimmt. Man müsse sich individuell und strukturell auf diese vorbereiten: „Haft ist scheiße […] aber nicht das Ende der Fahnenstange“. Die Repression beschrieb der nun Abgetauchte dabei als „Reaktion der Herrschenden auf eine Linke, die […] versucht auch außerhalb der eigenen Szene zu wirken und langfristige Strukturen aufzubauen“. Durch den Aufbau eigener Strukturen – durch die Linksextremisten eine wirkmächtige Gegenmacht zur Staatsmacht schaffen wollen – könne man der kommenden Repression standhalten; dazu würden neben Verbindlichkeit und Kontinuität auch das richtige Maß an Klandestinität gehören.

Hintergrund des Untergetauchten

Bei dem Untergetauchten handelt es sich um einen Angehörigen der linksextremistischen Szene im Umfeld des Szeneobjekts „Linkes Zentrum Lilo Herrmann“ in Stuttgart. Der Mann wohnte bis zum Untertauchen in Stuttgart und fiel mehrfach wegen linksextremistischer Aktivitäten auf. Zuletzt wurde er an besagtem 26. Oktober 2022 wegen Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall in Tateinheit mit einem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte und versuchter gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit einer Beleidigung zu drei Jahren und neun Monaten Haftstrafe verurteilt (Az.: 202 Ls 4 Js 11379/21 jug). Diese Straftaten gehen auf die Beteiligung an der „Stuttgarter Krawallnacht“ am 20. beziehungsweise 21. Juni 2020 zurück sowie auf den Angriff auf einen Angehörigen der rechtsextremistischen „Identitären Bewegung“ (IB) am 2. Mai 2020 in Stuttgart. Im Urteil wird ihm zudem ein tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung bei einer demonstrativen Aktion zur Bundestagswahl am 14. September 2021 in Stuttgart zur Last gelegt.

Bewertung: weitere Straftaten möglich

Der Beitrag mit dem Titel „Ich habe beschlossen nicht in den Knast zu gehen…“ bestätigt die Äußerungen des Untergetauchten zum Urteil vom 26. Oktober 2022 und unterstreicht sie gewissermaßen noch einmal. Seine Formulierungen spiegeln das mangelnde Unrechtsbewusstsein sowie die gefestigte linksextremistische Ideologie im „Kampf gegen den Kapitalismus“ wider. Der Antritt seiner Haftstrafe würde ihn demzufolge an der von ihm angestrebten „sozialistischen Revolution“ hindern.

Nach Einschätzung des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg ist nicht auszuschließen, dass der untergetauchte Linksextremist aus der Illegalität heraus weitere Straftaten verübt. So birgt das Abtauchen mit den damit einhergehenden reduzierten sozialen Kontakten und einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit die Gefahr einer Radikalisierung „im Untergrund“. Insbesondere die jüngsten Ausschreitungen beim Demonstrationsgeschehen am 1. Mai 2023 in Stuttgart, aber auch die Brandstiftung an einem Polizeiauto am selben Tag belegen, dass die linksextremistische Szene in Stuttgart sich trotz staatlicher „Repression“ nicht gänzlich von Straftaten abschrecken lässt.

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