Islamismus

Serie „Salafistische Netzwerke im Wandel“ | Teil 3: Neil BIN RADHAN

Der salafistische Multifunktionär Neil BIN RADHAN aus Baden-Württemberg agiert im Gegensatz zu Pierre VOGEL weniger medienwirksam; auch offen ausgetragenen Dispute mit anderen Salafisten sind nicht bekannt. Vielmehr erarbeitet er im Hintergrund die Grundlagen, um sein Lebensprojekt voranzubringen: die „Daʼwa“ in deutscher Sprache. Hierfür setzt er auf Kooperationen mit anderen salafistischen Akteuren und versucht zugleich, sich als authentischer islamischer Gelehrter zu etablieren.

Der Schein des islamischen Gelehrten

Geboren 1982 als Sohn einer Deutschen und eines Saudi-Arabers, erfuhr Neil BIN RADHAN eine frühe Sozialisierung im wahhabitischen Saudi-Arabien. Seit seiner Jugend wuchs er in Deutschland auf. Bereits während seines Informatikstudiums in Heilbronn beschäftigte er sich intensiv mit der Verbreitung des Islams und ist spätestens seit 2004 als Online-Prediger und Islamlehrer aktiv. Mittlerweile zählt er zu einem der wichtigsten Akteure eines überregionalen Netzwerks von salafistischen Predigern in Deutschland. Er repräsentiert den Typus des akademisch wirkenden und sprachlich nüchternen Predigers, im Gegensatz zu eher grober auftretenden und lauter argumentierenden Salafisten wie Pierre VOGEL oder Ahmad ARMIH alias ABUL BARAA. 

Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass BIN RADHAN moderatere Standpunkte vertritt: Im Jahr 2013 fiel er dem Landesamt für Verfassungsschutz durch verfassungsfeindliche Aussagen zum bewaffneten Jihad und die Rechtfertigung einer als islamisch verstandenen Sex-Sklaverei auf.

Auch hat BIN RADHAN nie ein formales islamisch-theologisches Studium abgeschlossen, sondern hat lediglich in einzelnen Bereichen wie Koranrezitation oder Hadithwissenschaft eine sogenannte Lehrerlaubnis (ijaza) von einer Reihe saudi-arabischer Sheikhs erhalten. Diese Schüler-Lehrer-Beziehungen erklären seine auch heute noch engen Beziehungen nach Saudi-Arabien. Auf den ersten Blick vermag er daher als authentischer islamischer Gelehrter zu erscheinen und entsprechende Wirkung auf seine Zuhörer auszuüben.

BIN RADHAN verfolgt bei seinen „Daʼwa“-Aktivitäten einen ganzheitlichen Ansatz und ist neben seiner Tätigkeit als Imam und Moscheevorstand auch in mehreren Projekten aktiv.

„Verein für Muslime in Heidelberg e. V.“ und „Islam-Akademie“

Zunächst nutzte BIN RADHAN eine eigene Internetseite, um verschiedene Lehrvideos und -texte zu verbreiten. Inzwischen werden jedoch nur noch wenige neue Inhalte hochgeladen und die Seite scheint durch andere Formate abgelöst zu werden. Seit mindestens 2007 ist er Leiter und Dozent der „Islam-Akademie“. Diese Online-Plattform ist strukturierter angelegt und bietet verschiedene Kurse sowie – nicht akkreditierte – Studiengänge an, die sowohl Grundlagenkenntnisse als auch Expertenwissen zum Islam vermitteln sollen. Dahinter steht jedoch die Verbreitung von salafistischen Positionen des saudi-arabischen Staatsislams.

Neben dem Onlineangebot kooperiert die „Islam-Akademie“ mit dem als salafistisch eingestuften „Verein für Muslime in Heidelberg e. V.“ (VMH) und bietet dort einzelne Lehrveranstaltungen und Seminare für eine Imam-Ausbildung an. Als Referenten treten hier auch szenebekannte Personen wie die Salafisten Anas FILALI OMARI aus Bayreuth oder Issam BENHAMED aus Frankfurt am Main auf. Von 2009 bis 2016 war BIN RADHAN Imam in der salafistischen „Bilal-Moschee“ in Heilbronn und anschließend als Imam beim VMH tätig. Seit Frühjahr 2019 ist er dessen Vorsitzender. Eine zunehmende Verschränkung der Islam-Akademie und des VMH erscheint daher als wahrscheinlich.

Als Gastimam besucht er auch regelmäßig das „Islamische Kulturzentrum Bremen e. V.“, das der Bremer Verfassungsschutz als salafistischen Verein beobachtet. Neben BIN RADHAN hält auch der überregional bekannte Salafist Amen DALI, Imam des salafistischen „Omar al-Faruq-Centers“ in Mannheim, regelmäßig Vorträge beim VMH.

„Daʼwa“ in deutscher Sprache als Lebensprojekt

Eine weitere Hauptsäule bei der Umsetzung von BIN RADHANs Lebensprojekt, der „Daʼwa“ (Missionierung) in deutscher Sprache, ist das „Darulkitab Verlagshaus“. Als Geschäftsführer, Verleger, Übersetzer und Autor des Verlags hat er es sich zur Aufgabe gemacht, islamische Literatur einem breiten deutschsprachigen Publikum zugänglich zu machen. Neben frühen Koranauslegungen („tafsir“) und Hadithsammlungen zählen hierzu vor allem Schriften von bedeutenden wahhabitischen Gelehrten wie Muhammad IBN UTHAYMIN oder Saleh BIN FAWZAN, aber auch Bücher von in Deutschland und Baden-Württemberg ansässigen Salafisten wie Ibrahim FATHY EID, dem Imam des „Islamischen Kulturzentrums Stuttgart e. V.“ (IKZ).

Mit seiner Übersetzungs- und Verlagstätigkeit versucht BIN RADHAN gezielt, die Lücke im Bereich der deutschsprachigen Islamliteratur zu füllen und dadurch ein wahhabitisches Islambild zu verbreiten. So kann er bei interessierten Lesern den Eindruck erwecken, als handele es sich um die einzig authentische Lesart des Islams. Die Bücher des „Darulkitab Verlagshauses“ weisen dabei zumeist einen Bezug zum Salafismus und teilweise auch konkret verfassungsfeindliche Inhalte auf. Träger des Verlags ist die an der Adresse des VMH angemeldete und von BIN RADHAN geführte „ShayLA UG“.

Streben nach Führungspositionen

Der „Hohe Rat der Gelehrten und Imame in Deutschland e. V.“ (HRGID) mit Sitz in Heilbronn war eine weitere Kooperationsform zwischen BIN RADHAN und anderen bekannten Salafisten. Gegründet wurde der Verein 2010 als Dachverband von Akteuren des salafistischen Spektrums und als Gegenorganisation zum „Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland e. V.“ (RIGD) der „Muslimbruderschaft“; er löste sich jedoch bereits 2015 wieder auf. Die maßgeblichen Vorstandsmitglieder des HRGID waren BIN RADHAN und FATHY EID, dessen Bücher über das „Darulkitab Verlagshaus“ vertrieben werden.

BIN RADHAN ist zudem Sprecher des „Ausschusses für Mondsichtung – Deutschland“, eines Gremiums von salafistischen Akteuren, dem u. a. auch Ahmad ABUL BARAA aus Berlin, Muhammad CIFTCI aus Braunschweig oder Mohammad HABIBZADA aus Bremen angehören. Der Ausschuss hat es sich zur Aufgabe gemacht, die muslimischen Feiertage und die Fastenzeiten während es Ramadan anhand des Mondes festzulegen. Hierdurch versucht er, die Deutungshoheit über die religiöse Praxis der deutschsprachigen Muslime zu erlangen. Der Ausschuss steht damit auch in direkter Konkurrenz zum „Fatwa-Ausschuss Deutschland“ (FAD), der zum Spektrum der „Muslimbruderschaft“ gehört und sich bei der Berechnung an den Moscheen in der Türkei orientiert. Auch für den „Ausschuss für Mondsichtung – Deutschland“ fungiert ein Träger mit Sitz beim VMH: Der Verein „Güte e. V.“ wird von BIN RADHAN im Vorstand geführt und setzt Spenden für verschiedene Vorhaben ein, vorgeblich für die Unterstützung von Waisenkindern oder Bedürftigen, aber auch für neue Koranübersetzungen.

Eine weitere Kooperation führt BIN RADHAN mit der Dawa Plattform „AL-ESTIQAMAH“ von Issam BENHAMED, die er als Medium für seine Islamvorträge nutzt. Zudem betreibt er unter der Anschrift des VMH gemeinsam mit Mohammad HABIBZADA die FoodX GmbH, deren Unternehmensgegenstand der Handel, Vertrieb und Verkauf mit Lebensmitteln ist.

Fazit: Multifunktionär mit Ambitionen

BIN RADHAN fungiert seit über 15 Jahren als salafistischer Prediger und Islamlehrer, sowohl online als auch in der Realwelt. Mit der „Islam-Akademie“ und seinem „Darulkitab Verlagshaus“ verfolgt er das Ziel, die Schriften von wahhabitischen Gelehrten und ihre Lehren für deutschsprachige Muslime zugänglich zu machen und damit die salafistische Lesart des Islam unter deutschen Muslimen zu verbreiten und zu verankern. Hierbei kooperiert BIN RADHAN mit einem breiten Netzwerk von salafistischen Predigern.

Wie seine ehemalige Funktion im „Hohen Rat der Gelehrten und Imame in Deutschland“ oder aktuell beim „Ausschuss für Mondsichtung – Deutschland“ zeigen, versucht er dabei stets, eine Führungsposition einzunehmen und sich als anerkannter islamischer Gelehrter zu etablieren. Durch seine Position als VMH-Vorsitzender wird er zukünftig wohl noch mehr Einfluss auf die lokale Szene nehmen können.

Zudem sind die unternehmerischen Tätigkeiten von RADHAN mit der „ShayLA UG“ und der FoodX GmbH beispielhaft für eine zunehmende Professionalisierung von salafistischen Akteuren und deren Strategie, mittels entsprechender Unternehmen die „Daʼwa“ voranzutreiben und Finanzmittel zu generieren, um ihre salafistische Ideologie weiter zu verbreiten.

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