ISLAMISMUS

Rettung vor der Hölle: Online-Konversionen als Propagandamittel

Salafisten haben im Jahr 2021 Übertritte in die Szene vermehrt digital dokumentiert. Diese Online-Konversionen geben Einblicke in das persönliche Bedingungsgefüge, aus dem heraus sich ein Mensch der salafistischen Szene anschließt. Für die salafistische Szene erfüllen die Konversionsvideos wiederum verschiedene Funktionen, vor allem die Rekrutierung von neuen Anhängern.

Für die salafistische Szene in Deutschland konnte im Jahr 2021 ein Trend hin zur mehr Online-Konversionen festgestellt werden. Damit sind Übertritte in den Islam gemeint, die digital dokumentiert werden. Entsprechende Videos finden sich auf Social-Media-Plattformen wie YouTube oder Instagram. 

Will jemand zum Islam konvertieren, so reicht in der Regel das Aussprechen der „Shahada“, also des islamischen Glaubensbekenntnisses, auf Arabisch und bei vollem Bewusstsein: „Ich bezeuge wahrhaftig, dass es keinen Gott außer Allah gibt, und ich bezeuge, dass Mohammed sein Gesandter ist“. 

Das gilt auch für die Konversion in die salafistische Szene. Eine Konversion im salafistischen Kontext, also zum Beispiel unter Anleitung von salafistischen Akteuren, bedeutet aber auch, dass die Konvertiten sich implizit zu einer extremistischen Islamauslegung bekennen. Das wiederum korreliert mit dem ausgeprägten Missionierungsanspruch der Szene: Konversionen führen zu einem Zuwachs von Anhängern in dem Milieu. 

Zwei besonders herausragende Akteure im Bereich der Online-Konversionen sind die Salafisten Ahmed ARMIH alias ABUL BARAA, und Pierre VOGEL. Deren Videodokumentationen von Konversionen sind sich in Format und Inhalt sehr ähnlich: Bei beiden konvertieren sowohl Männer als auch Frauen, wobei die Altersstruktur eine große Bandbreite von Teenagern bis hin zu Senioren aufweist. Meistens handelt es sich um Nicht-Muslime, es werden aber auch angebliche inner-islamische Konversionen aus der schiitischen Konfession in den Salafismus dargestellt. Fast immer bestehen die Produktionen aus drei inhaltlichen Säulen: Zentrale Bedeutung hat das Aussprechen der „Shahada“. Daneben erfährt der Zuschauer etwas über den Weg der konvertierenden Person zum Islam. Und schließlich wird die „soziale Seite“ der salafistischen Szene betont. VOGEL und ABUL BARAA gerieren sich als Ansprechpartner bei Problemen aller Art, zudem werden Postsendungen mit Geschenken und Informationsmaterial über den Islam angekündigt.

Konversion: Motivationscocktail zwischen persönlichen Bedürfnissen und Kontakten

Wenngleich es sich um relativ kurze Videos von maximal fünf Minuten handelt, geben sie Einblicke in die individuellen Motive für die Konversion. Ein wiederkehrendes ist dabei die „Suche nach dem Sinn des Lebens“: „Dorothea“[1], 59 Jahre, stellt dar, dass sie bei ihrer Sinnsuche auf den Koran gestoßen sei und diesen zunächst als „Abklatsch der Bibel“ verstanden habe, dann aber eines Besseren belehrt worden sei. „Michaela“, 31, berichtet zu diesem Thema wiederum, dass sie viele Fragen und keine Antworten hatte – und erst durch die Videos von ABUL BARAA zufriedengestellt wurde. „Nadja“, 47 Jahre und angeblich aus Esslingen, offenbart ihre Vergangenheit in einem Sufi-Orden[2]. Durch die Corona-Pandemie habe sie Zeit zum Nachdenken gehabt und erkannt, dass ihr Leben falsch ausgerichtet gewesen sei. 

Häufig genannt werden auch Lebensprobleme. Eine „18-Jährige „aus Schleswig-Holstein“ spricht zum Beispiel von einer „schwierigen Phase“ vor ihrer Konversion. „Luisa“, 18, deutet Schwierigkeiten mit ihrer Herkunftsfamilie als Motiv an. In vielen Fällen sind frühere Berührungspunkte mit dem Islam, vielleicht sogar schon mit der salafistischen Islamlesart, erkennbar: So ist von einem gewissen Einfluss von Verwandten und Freunden auf die Konversion auszugehen. 

In manchen Beiträgen zeigt sich, warum die Personen sich für das Format der Online-Konversion entschieden haben. „Michaela“ macht deutlich, dass sie bereits vor Jahren zum Islam konvertiert sei – jedoch ohne Zeugen. Zeugen sind wiederum notwendig für die Ausstellung eines Konversions-Zertifikats und dieses müssen Konvertiten vorlegen, wenn sie die Pilgerreise nach Mekka antreten wollen. Die Online-Konversion war für „Michaela“ offenbar eine niedrigschwellige Möglichkeit ein entsprechendes Zertifikat zu erhalten. „Luisa“ wiederum legt gegenüber ABUL BARAA dar: „Du hast mich inspiriert!“ Sie schaue schon lange seine Vorträge und freue sich, dass er ihr geantwortet habe. Für „Luisa“ ist die Online-Konversion damit ein Mittel, um für einen Augenblick und vor Zuschauern an der Seite ihres „Stars“ zu stehen.



[1] Der Name wurde wie die folgenden redaktionell geändert. Die Personen unterliegen nicht dem Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes.
[2] Ist kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes.



Konversion „To-Go“ und das salafistische Heilsversprechen

Immer wieder betonen die salafistischen Akteure, dass die Konversion der einzig richtige Weg für alle sei, die noch nicht dieser Islamauslegung folgen würden. Diese Aufforderungen erfolgen zum Teil sehr subtil, zum Beispiel im Zusammenhang mit skurrilen Konversionssituationen. So hat Pierre VOGEL einmal die Konversion eines „17-Jährigen aus Siegen“ dokumentiert. Mitten in einem Telefonat zur Konversion ist plötzlich eine laute Geräuschkulisse im Hintergrund zu hören. Auf VOGELs Frage, ob sein Gesprächspartner gerade an der Bushaltestelle stehe, antwortet dieser: „Ja, ich bin kurz vor der Arbeit.“ Die Zuschauer erfahren so von der Möglichkeit der „Konversion To-Go“. 

ABUL BARAA kümmert sich in einem anderen Video um „Meike“, die bereits am Vortag konvertieren wollte, den Schritt aber verschieben musste, weil sie sich im Krankenhaus befand und nicht bei vollem Bewusstsein war. Der Entschluss, offenkundig aus dem Krankenhaus heraus eine Konversion zu organisieren, suggeriert dem Zuschauer eine große Dringlichkeit: Das Leben kann jederzeit vorbei sein – es liegt an jedem selbst, vorher noch den vermeintlich richtigen Weg einzuschlagen.

In vielen Beiträgen ist auch das salafistische Heilsversprechen Thema. ABUL BARAA belehrt „Luisa“ zum Beispiel bezüglich möglicher negativer Reaktionen auf ihre Konversion: „Deswegen wisse, wir werden alle sterben und im Grab wird man alleine liegen. Und nicht die liebste Person wird mit dir im Grab liegen, sondern du wirst einzig und alleine im Grab sein. Entweder wird das Grab schon für dich ein Paradiesgarten von den Paradiesgärten sein oder es wird ein Höllenfeuer von den Höllenfeuern sein.“ „Luisa“, so die Botschaft, solle sich nicht von Kritikern ihrer Entscheidung beeinflussen lassen. Vielmehr sei sie jetzt auf der richtigen Seite, das Paradies demensprechend nah. Einer „Nadja“ berichtet der salafistische Prediger von einem Hadith (Überlieferung über die Aussprüche und Taten des Propheten), nach dem Mohammed gesagt habe: „Meine Ummah wird sich in 73 Gruppen spalten. Alle sind im Höllenfeuer, außer eine.“ ABUL BARAA ergänzt, dass die 72 Gruppen in der Hölle enden, weil sie nicht dem Weg des Propheten folgen, sondern islamische Abweichungen darstellen. Er appelliert an „Nadja“, der ehemaligen Anhängerin eines Sufi-Ordens: „Deswegen halte den Kontakt zu uns.“ Damit geriert sich ABUL BARAA als Heilsbringer. 

Nicht selten gibt es Szenen mit starken Emotionen in den Videos: So beginnt „Daniela“ zu weinen, als ABUL BARAA zu ihr sagt: „Zum Schluss wird dir Allah das ewige Paradies geben. Ist das ein Angebot?“ Eine „17-Jährige aus Angola“ berichtet Pierre VOGEL wiederum davon, dass sie weinen musste, als sie auf Instagram die Konversion einer Frau gesehen habe. Dieses Ereignis sei schließlich der Auslöser für ihren eigenen Konversionswunsch gewesen. So werden unterschiedliche, intensive Emotionen transportiert: Der Kontakt zur Szene wird ekstatisch erlebt, die Konversion an sich geht mit Begeisterung und Erleichterung einher.  

Fazit: Sinnsuche und Da’wa-Ambitionen mit unklaren Auswirkungen 

Die Online-Dokumentation von Konversionen hat verschiedene Funktionen sowohl für die Konvertiten selbst als auch für salafistische Akteure wie ABUL BARAA und Pierre VOGEL. Für die Konvertiten stellt sie eine Art Problemlösungsstrategie dar. Sie erhoffen sich – dies bezeugen die Videos – Zugehörigkeit, Reinwaschung und einen Sinn im Leben. Vielfach ist auch davon auszugehen, dass der direkte Kontakt mit den „Stars“, also bekannten Salafisten, vor Zuschauern ihr Bedürfnis nach Anerkennung und Bedeutung bedient. Das deckt sich mit einer Theorie aus der Radikalisierungsforschung, die unter der Überschrift „Quest for significance“ bekannt ist. 

Für die salafistischen Akteure dienen die Online-Konversionsformate vor allem der Selbstdarstellung. Die Videos sollen belegen, dass es massenweise Übertritte in die salafistische Szene gibt. Weil der Einsatz von Social-Media sich an die Popkultur anschließt, erregen die Videos durchaus Aufmerksamkeit bei jungen Menschen: Die Akteure versprechen sich von der Veröffentlichung der Konversions-Erlebnisse eine weitere Zunahme von Interessierten. Sie präsentieren sich dabei als Heilsbringer und hoffen zugleich, dass sie selbst am Tag der Auferstehung von ihrem Engagement profitieren. Immerhin bezeugen sie mit den Videos, viele Menschen bekehrt zu haben und so der salafistischen Da’wa-Agenda zu entsprechen.  

Die Online-Konversionen sind gleichwohl kein durchgängiges Phänomen, sondern unterliegen konjunkturellen Schwankungen. Zuletzt waren vor allem in den Jahren 2013-2014 viele dieser Videos zu sehen. In einer Zeit also, in der der so genannte Islamische Staat (IS) seine Hochphase hatte. Dass nun im Jahr 2021 wieder vermehrt solche Videos veröffentlicht werden, dürfte mit der Corona-Pandemiezusammenhängen: Menschen, die unsicher und auf der Suche nach Sinn und Halt im Leben sind, treffen auf „Menschenfänger“, die diese Unsicherheit für ihre Zwecke zu nutzen wissen. Fraglich bleibt, wie nachhaltig die Konversionen im Einzelfall sind: Bleiben die Menschen in der Szene? Findet eine weitere Radikalisierung statt? Oder handelt es sich um singuläre Ereignisse, die kaum Nachhall für den Alltag der Konvertiten haben? 

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