Linksextremismus

Linksextremisten rechtfertigen weiterhin den Einsatz von Gewalt gegen Personen

Im sogenannten „Wasenprozess“ ist das Urteil gefallen: Für den Angriff auf drei Angehörige der Arbeitnehmervertretung „Zentrum Automobil e.V.“ am Rande einer „Querdenken“-Kundgebung auf dem Cannstatter Wasen im Mai 2020 wurden nun zwei Angeklagte vom Landgericht Stuttgart zu viereinhalb bzw. fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Die erheblichen Verletzungen der Opfer werden von linksextremistischer Seite nach wie vor als gerechtfertigt angesehen. Ebenso die Annahme, dass der Einsatz von Gewalt gegen Personen auch zukünftig eine legitime Handlungsoption für antifaschistische Agitationen sei.

Beim kürzlich zu Ende gegangenen „Wasenprozess“ wurde der gewalttätige Angriff von zwei Linksextremisten auf drei Mitglieder der Arbeitnehmervertretung „Zentrum Automobil e.V.“ (kein Beobachtungsobjekt des LfV BW) verhandelt. Angesichts der lebensgefährlichen Verletzungen eines Opfers entwickelte sich im Nachgang zur Tat innerhalb der linksextremistischen Szene eine Diskussion darüber, inwieweit Gewalt ein legitimes Mittel in der Auseinandersetzung mit vermeintlichen oder tatsächlichen Rechtsextremisten sein darf.
  
Bereits kurz nach dem Angriff wurde auf der von Linksextremisten genutzten Internetplattform „de.indymedia.org“ ein Eintrag „zum antifaschistischen Angriff am 16. Mai in Stuttgart/Zur Frage antifaschistischer Gewalt“ veröffentlicht. Darin wurde einerseits Abstand von einer Tötungsabsicht und der „systematischen“ Anwendung „schwere[r] bis tödlich[r] Verletzungen“ genommen, unter anderem mit dem Verweis auf eine fehlende Vermittelbarkeit in Teilen der Bevölkerung. Andererseits wurde darauf hingewiesen, dass „die gewalttätige Gegenwehr ein wichtiger Teil des Antifaschismus“ sei, der Versuch jedoch unternommen werde, „nur so weit zu gehen, wie wir es in der jeweiligen Situation für angebracht halten“. Ziel sei es, mit den körperlichen Angriffen das „öffentliche Auftreten der Faschisten soweit wie möglich zu unterbinden […] Sie sollen mit Schmerzen, Stress und Sachschaden rechnen“. 

Mittlerweile scheint sich die Auffassung zu verbreiten, dass die prinzipielle Anwendung von Gewalt gegen Personen vor allem in der Auseinandersetzung mit vermeintlichen oder tatsächlichen Rechtsextremisten angemessen und legitim ist. Darauf deuten aktuelle Aussagen aus der linksextremistischen Szene in Baden-Württemberg hin: So hat einer der beiden Angeklagten laut eines Berichts der Tageszeitung „taz“ vom 13. Oktober 2021 in seinem Schlusswort vor Gericht den Versuch unternommen, die im Mai 2020 verübte Gewalttat mit den „mindestens 187 Todesopfern“ rechter Gewalt seit den 80er Jahren zu rechtfertigen. Auch zitiert der taz-Bericht wörtlich aus Zeugenaussagen, wonach die Täter über die Verletzungen ihrer Opfer gesagt hätten: „Beruhigt euch, das waren doch nur Nazis“. Zudem wurde in einem weiteren Beitrag auf de.indymedia.org jüngst die Behauptung veröffentlicht, dass „eine eigenständige militante Praxis“ entwickelt werden müsse, da auf den Staat „kein Verlass im Kampf gegen Rechts“ sei. Dabei sei auch das staatliche Gewaltmonopol in Frage zu stellen. In einem Bekennerschreiben vom 15. Oktober 2021 auf demselben Internetportal werden noch deutlichere Worte gefunden: Danach sei es wichtig, dass „Faschos […] militant angegriffen werden, ihre körperliche Unversehrtheit genommen wird“. In Bezug auf die beiden Verurteilten im „Wasenprozess“ heißt es: „Sie sollen das getan haben, was wir als Antifaschist:innen für richtig und wichtig halten“. 

„Antifa bleibt militant!“ Demonstration in Stuttgart

Hintergrund

Am Rande einer „Querdenken“-Demonstration am 16. Mai 2020 griffen 20 bis 40 gewaltorientierte Linksextremisten drei Angehörige der Arbeitnehmervertretung „Zentrum Automobil e.V.“ an. Die Opfer unterhielten Verbindungen in rechtsextremistische Kreise. Eines der Opfer erlitt bei dem Vorfall lebensgefährliche Verletzungen. Der Prozessauftakt gegen die beiden nun verurteilten Linksextremisten fand am 19. April 2021 statt und endete mit der Urteilsverkündung am 13. Oktober 2021. Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt.
Von linksextremistischer Seite aus wurde die Tat als „antifaschistischer Angriff“ bezeichnet, da sie gegen Mitglieder von „Zentrum Automobil e.V“ und damit gegen eine „faschistische Betriebsgruppierung“ gerichtet gewesen sei. 
Mit dem Begriff Antifaschismus bezeichnen Linksextremisten ihre Ablehnung des Rechtsextremismus, aber auch ihre grundsätzliche Ablehnung von Parlamentarismus und des demokratischen Verfassungsstaates. Der Begriff existiert auch in einer „demokratischen Lesart“, wurde jedoch auch extremistisch besetzt. Der demokratische Rahmen antifaschistischer Aktivitäten wird in dem Moment verlassen, in dem selbstgewählte Gewalt als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung propagiert und eingesetzt wird. 

Bewertung

Ein demokratisch gedachter Antifaschismus wirkt paradox: er gesteht demokratische Grundrechte auch denjenigen zu, die die Demokratie bedrohen. Gleiches gilt für die Menschenrechte. Die im Kontext des „Wasenprozesses“ angebrachten Rechtfertigungen für das äußerst gewalttätige Vorgehen gegen ausgewählte Personen sind mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung unvereinbar. Eine unverzichtbare Grundlage des deutschen Rechtsstaates ist sein Gewaltmonopol, das die öffentliche Sicherheit und Ordnung garantiert. Dies wurde auch im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum NPD-Verbotsverfahren vom 17. Januar 2017 so festgestellt (vgl. 2 BvB 1/13, Rn 547) Dieses in Frage zu stellen und Grundrechte, wie etwa die Menschenwürde, nur noch einem ausgewählten Personenkreis zuzugestehen, widerspricht zentralen Werten und Normen der politischen Ordnung in Deutschland.
Die jüngsten Rechtfertigungsbemühungen von Gewalt gegen vermeintliche oder tatsächliche Rechtsextremisten durch Szeneangehörige zeigen, welch breite Akzeptanz solche Übergriffe mittlerweile unter gewaltorientierten Linksextremisten in Baden-Württemberg haben. Da Rechtfertigungen nicht nur der Begründung von bereits Geschehenem dienen, sondern auch ein Mobilisierungspotenzial für künftige Aktionen bergen können, ist davon auszugehen, dass es in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner auch in Zukunft zur Anwendung von Gewalt kommen kann. Für diese Einschätzung sprechen bundesweite Tendenzen mit regionalen Schwerpunkten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. So sind im Laufe des Jahres 2021 mehrere gewalttätige Übergriffe auf Mitglieder der rechtsextremistischen Szene oder ihr nahestehende Personen bekannt geworden, bei denen ebenfalls Linksextremisten als Täter im Verdacht stehen.

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