Auslandsbezogener Extremismus

Ideologische Vordenker der „Ülkücü-Bewegung“
Teil 2: Alparslan Türkes


Neben Nihal Atsiz gilt Alparslan Türkes als einer der bedeutendsten ideologischen Vordenker und Symbolfiguren des türkischen Rechtsextremismus. Türkes übernahm die von Atsiz formulierte Ideologie, passte sie den zeitgenössischen Entwicklungen an und bereitete den Weg für die bis heute aktive „Ülkücü-Bewegung“ (Bewegung der „Idealisten“). Auch 25 Jahre nach seinem Tod ist er mit seinen Anschauungen für die Mehrheit der „Ülkücü“-Anhänger in Baden-Württemberg eine konstante Leitfigur.

Alparslan Türkes, geboren am 25. November 1917 in Nikosia/Zypern, gründete 1969 die bis heute aktive türkische „Partei der Nationalistischen Bewegung“ („Milliyetci Hareket Partisi“, MHP), der er bis zu seinem Tod am 4. April 1997 vorstand. Der Führerkult, den seine Anhänger bereits zu Lebzeiten um ihn betrieben, hält bis heute an. Die türkisch-rechtsextremistische „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V.“ („Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu“, ADÜTDF) orientiert sich an Ideologie und Politik der MHP. Dementsprechend genießt Türkes auch innerhalb der ADÜTDF, der größten türkisch-rechtsextremistischen Organisation in Deutschland, absolute Verehrung.

1. Nähe zum Nationalsozialismus – Traum vom „Großtürkischen Reich“ – anti-demokratische Ideologie

Türkes, der mit gebürtigem Namen Ali Arslan hieß und das Pseudonym „Alparslan“ (eine Anspielung auf den alttürkisch-seldschukischen Herrscher Alp Arslan) erst später als Vornamen annahm, durchlief eine vorwiegend militärische Ausbildung. In dieser Zeit machte er die Bekanntschaft des Publizisten Nihal Atsiz und wirkte an der Verbreitung von dessen rassistisch-nationalistischen und turanistischen Ideen mit.1 
Während des Zweiten Weltkriegs war das nationalsozialistische Deutschland be-strebt, Türkes als Führer der pantürkischen Bewegung für sich zu gewinnen und damit die Beziehungen zu gleichgesinnten Gruppen in der Türkei auszubauen.2 Gegen Ende des Kriegs wurden Türkes und seine Mitstreiter zwar wegen Aktivitäten zur Schaffung eines „Großtürkischen Reiches“ und ihrer Sympathien für die deutschen Nationalsozialisten zu zehn Jahren Haft verurteilt. Jedoch wurde das Urteil in zweiter Instanz aufgehoben und die Verurteilten im April 1945 freigesprochen. 1948 absolvierte Türkes eine Militärakademie.

Türkes vertrat eine Ideologie, die geprägt war von der Überhöhung des „Türkentums“, auch gegenüber den Prinzipien der Demokratie. So spielten in seiner grundlegenden Schrift „Neun Lichter“ demokratische Werte und Verfahren eine untergeordnete und instrumentelle Rolle (siehe Abschnitt 2). Seine Befürwortung eines autoritären Regimes und die Beteiligung an mehreren Interventionen bzw. Interventionsversuchen des türkischen Militärs in die Politik belegen dies.3 Türkes gehörte zu der Offiziersgruppe, die am 27. Mai 1960 den ersten Militärputsch in der türkischen Republik durchführte. Als ihr Sprecher verlas er die Erklärung zur Machtübernahme und wurde teilweise als der wahre Strippenzieher des Putsches angesehen.

Darüber hinaus gehörte er zu der Teilgruppe von Putschisten, welche die politische Macht nicht nach einer kurzen Übergangszeit in zivile Hände zurückgeben wollte, sondern eine langfristige Machtübernahme des Militärs anstrebte. Weil dies letztlich einer – von der Putschführung abgelehnten – Militärdiktatur gleichgekommen wäre, wurden Türkes und seine Mitstreiter für einige Jahre ins Ausland geschickt – offiziell als Regierungsvertreter, faktisch jedoch ins Exil. Aber auch nach seiner Rückkehr in die Türkei hielt er wenig von demokratischen Prinzipien und stand einem weiteren Putschversuch von Teilen des Militärs am 20. Mai 1963 aufgeschlossen gegenüber. Letztlich hielten seine Meinungsverschiedenheiten mit den Putschisten über die Führung des Aufstands – er beanspruchte sie für sich – Türkes davon ab, sich aktiv am Umsturzversuch zu beteiligen.

1963 trat Türkes der „Republikanischen Bauern- und Volkspartei“ („Cumhuriyetci Köylü Millet Partisi“, CKMP) bei, übernahm 1965 deren Vorsitz und ließ sie vier Jahre später in „Partei der Nationalistischen Bewegung“ („Milliyetci Hareket Partisi“, MHP) umbenennen. In der Folgezeit wuchs zwar der Einfluss der MHP auf die türkische Politik und sie beteiligte sich an mehreren Regierungen; Türkes war von 1973 bis 1976 sogar stellvertretender Ministerpräsident der Türkei. Jedoch betraf das allgemeine Parteienverbot infolge des Militärputsches vom 12. September 1980 auch die MHP. Türkes musste für über vier Jahre ins Gefängnis und durfte sich bis 1987 nicht politisch betätigen. Nach der MHP-Neugründung blieb er bis zu seinem Tod 1997 Parteivorsitzender.

2. Ideologische Basis: Die „Neun-Lichter“-Doktrin

Alparslan Türkes fasste seine politischen Ideen in dem Werk „Neun Lichter“ („Dokuz Isik“) zusammen. 1965 erstmals veröffentlicht, wurde es zur programmatischen Basis der MHP. Auch wenn die „Neun-Lichter“-Doktrin keine große ideologische Errungenschaft war, so präsentierte sie Türkes doch als Theoretiker und verstärkte den um ihn betriebenen Personenkult. Die darin enthaltenen neun Prinzipien4 zeigen Parallelen sowohl zur Ideologie des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk („Kemalismus“)5 als auch zu den neun Prinzipien des türkisch-rechtsextremistischen Ideologen Nihal Atsiz.6 Die „Neun-Lichter“-Doktrin wurde fester Bestandteil innerhalb des türkisch-rechtsextremen Spektrums und entwickelte sich dort zu einer prominenten Ideologie.7

Zentral für seine Ideologie sind Idealismus und Nationalismus, weshalb seine Anhänger sich auch als „Idealisten“ („Ülkücüler“) bezeichnen. Türkes schreibt dazu u. a. folgendes:

„Ein Mensch ohne Ideale ist wie ein Wesen aus Schlamm. Ein Mensch ohne Ideale ist wie ein Schiff ohne Ruder und Kompass. Deshalb hat jeder türkische Nationalist, jeder Anhänger der Neun Lichter unbedingt ein Idealist zu sein. (…) Das Ziel unseres Idealismus ist, die türkische Nation an die Spitze der modernen Zivilisation zu bringen, indem sie (…) in Wissenschaft, Technik und Kultur zur mächtigsten Einheit auf der Welt wird und das Türkentum verherrlicht. (…) Die türkische Nation ist ein heiliges Ganzes, das keine Teilung akzeptiert, unabhängig von Region, Sekte oder Parteizugehörigkeit. (…) Im Nationalstaat gibt es keine Spaltung [Separatismus], sondern Einheit und Ganzheit.“8

Das Fernziel aller „Idealisten“ ist seinem Konzept zufolge, dass alle „türkischen Länder“9 ihre Unabhängigkeit erlangen, eine kulturelle Einheit entwickeln und unter einem gemeinsamen Banner eine große türkische Einheit bilden.10 Sowohl die jahrhundertealte ethnische, religiöse und sprachliche Vielfalt der türkischen Gesellschaft als auch jegliche Autonomiebestrebungen von Minderheiten lehnte Türkes grundsätzlich ab.

3. Kritiklose Heldenverehrung und Militanz

Seine Rolle des „starken Oberst“ während des Militärputsches von 1960 führte dazu, dass Alparslan Türkes von seinen Anhängern die Ehrenbezeichnung „Basbug“ („oberster Befehlshaber“ bzw. „oberster Führer“) erhielt. Unter der Führung von Türkes, der die Partei häufig als Armee und sich selbst als Befehlshaber definierte, fand eine langanhaltende Militarisierung der MHP statt. Insbesondere jüngere Anhänger wurden in seinen Bann gezogen und ließen sich ab Ende der 1960er Jahre für sogenannte Kommandoeinheiten rekrutieren. Diese setzte er im Kampf gegen den politischen Gegner ein, insbesondere gegen sozialistisch und kommunistisch eingestellte Personen.11 Der oftmals bewaffnete und blutige Kampf zwischen den extremistischen Lagern wurde vor allem unter Studenten an den Universitäten sowie auf offener Straße ausgetragen. 
Die für zahlreiche Morde verantwortlichen Mitglieder der paramilitärischen Organisation des Türkes, als „Graue Wölfe“ („Bozkurtlar“)12 bezeichnet, trugen in den 1970er Jahren erheblich zu einer verschärften Lagerbildung und letztlich zum erneuten Militärputsch am 12. September 1980 bei.

Die bis heute anhaltende „Heldenverehrung“ für Türkes zeugt beispielhaft von einem Führerkult, wie er häufig innerhalb extremistischer Milieus gelebt wird. Ergänzt um mythische Erzählungen, folgen die Anhänger ihren „Helden“ oft unkritisch und unterstreichen damit deren identitätsstiftende Wirkung.13 Bis heute leisten junge Anhänger in unterschiedlichen Kontexten einen Eid, mit dem sie schwören, für „Turan“ und die Türkei „bis zum letzten Tropfen Blut“ zu kämpfen. Ihre tiefe Verbundenheit mit Alparslan Türkes wird offen zur Schau gestellt, etwa durch entsprechende Kleidungsstücke. Vor allem Jüngere lassen sich auch Tätowierungen mit typischen „Ülkücü“-Motiven stechen, darunter auch Türkes-Abbildungen. Zahllose Social-Media-Kanäle sind nach Türkes benannt, z. B. „Alparslan-Jugend“, „Ülkücü-Jugend des Alparslan Türkes“ oder „Soldaten von Basbug“.14 In den sozialen Netzwerken teilen seine Anhänger Porträts und Zitate von Türkes und nutzen diese als Profilbilder. Bewaffnet und in Militärkleidung posieren sowohl männliche als auch weibliche Anhänger in diversen Postings.15

4. Türkes ist weiterhin präsent – auch in Deutschland und Baden-Württemberg

Auch seinen Anhängern in Deutschland gilt Alparslan Türkes seit Jahrzehnten als absolute Leitfigur. Sie formieren sich vorwiegend in der türkisch-rechtsextremistischen „Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V.“ (ADÜTDF). Zu Lebzeiten trat Türkes als Gastredner der bundesweiten ADÜTDF-Kongresse auf und stattete auch zu anderen Anlässen seinen Anhängern in Deutschland regelmäßig Besuche ab. Bis heute wird seine „Neun-Lichter“-Doktrin den jugendlichen Mitgliedern didaktisch vermittelt und bei Wissenswettbewerben abgefragt. Zitate von Türkes sind innerhalb der ADÜTDF allgegenwärtig. So sind auf ihrer Homepage beispielweise folgende Aussagen zu lesen:

„Die Große Türkei werden wir als heiliges Ganzes, das keine Teilung akzeptiert, wiederaufbauen.“

„Die ehrenhafteste Familie der Menschenwelt ist die türkische Nation. Die Neun Lichter bedeuten das türkische Ideal.“

Des Weiteren werden zu Ehren von Türkes beispielsweise Fußballturniere veranstaltet; an seinem Todestag wird seiner vielerorts mit Veranstaltungen und Erklärungen gedacht. Unter den zahlreichen lokalen Mitgliedsvereinen der ADÜTDF veröffentlichte etwa der Verein in Reutlingen ein Bild mit der Losung „Dein Anliegen ist unser Anliegen. Dein Weg ist unser Weg.“

Bis heute findet sich sein Porträt sowohl in der ADÜTDF-Zentrale in Frankfurt am Main als auch in jedem Ortsverein. Zudem gehört es zur Standarddekoration von Räumlichkeiten, die anlässlich größerer Vereinsveranstaltungen angemietet werden.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Alparslan Türkes als MHP-Gründer und einflussreicher Repräsentant des türkischen Rechtsextremismus bis heute eine unbestrittene und zentrale Identifikationsfigur ist. Der um ihn betriebene Führerkult und seine ultra-nationalistischen Vorstellungen sind vor allem in den ADÜTDF-Vereinen unvermindert präsent – auch in Baden-Württemberg.

Quellen und Erläuterungen

  1. Türkische Rechtsextremisten streben, unter Führung der Türkei, die Errichtung des Staates „Turan“ an. Dieser fiktive, ethnisch homogene Staat soll alle Turkvölker vom Balkan bis nach Westchina und Russland vereinigen. zurück
  2. Fikret Aslan, Kemal Bozay, 2012: Graue Wölfe heulen wieder. Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in Deutschland, S. 53 ff. zurück
  3. Yasar Aydin: Die Geschichte und Gegenwart der Ülkücü-Bewegung. Zwischen Ultranationalismus und Staatsräson, säkularem Turkismus und Islamismus, in: Lobna Jamal, Yasar Aydin (Hg.): „Graue Wölfe“ – Türkischer Ultranationalismus in Deutschland, 2022, S. 24. zurück
  4. Nationalismus (Milliyetcilik), Idealismus (Ülkücülük), Moralismus (Ahlakcilik), Wissenschaftlichkeit (Ilimcilik), Gemeinschaftlichkeit (Toplumculuk), Förderung der Landwirtschaft (Köycülük), Liberalismus und Individualismus (Hürriyetcilik ve Sahsiyetcilik) sowie Entwicklung und Volksverbundenheit (Gelismecilik ve Halkcilik). zurück
  5. Der „Kemalismus“ prägt die politische Landschaft der Türkei bis heute. Sie besteht aus den sechs Prinzipien Nationalismus (Milliyetcilik), Populismus (Halkcilik), Republikanismus (Cumhuriyetcilik), Laizismus (Laiklik), Etatismus (Devletcilik) und Reformismus (Inkilapcilik). zurück
  6. Nihal Atsiz sprach in seinem Artikel „Aufruf an die türkische Nation“ von neun grundlegenden Prinzipien, die den Kern eines Programms der Nationalen Entwicklung bilden würden. Vgl. Nihal Atsiz: „Türk Milletine Cagri“, Orkun Dergisi, 1962. zurück
  7. Ugur Tekin/Daniela Lausberg: Ergebnisse des Forschungsprojektes „Zur gesellschaftlichen Relevanz des Rechtsradikalismus im türkischen Milieu allochtoner Jugendlicher und Heranwachsender“, Köln 2010, S. 15. zurück
  8. Alparslan Türkes: „Nationale Doktrin – Neun Lichter“, Istanbul 1978 (erweiterte 1. Auflage), S. 143–148 (Übersetzung durch das Landesamt für Verfassungsschutz). zurück
  9. Gemeint sind damit die turksprachigen Staaten. zurück
  10. Alparslan Türkeş: Nationale Doktrin – Neun Lichter, Istanbul 1978 (erweiterte 1. Auflage), S. 156 ff. (Übersetzung durch das Landesamt für Verfassungsschutz). zurück
  11. Yasar Aydin: Die Geschichte und Gegenwart der Ülkücü-Bewegung. Zwischen Ultranationalismus und Staatsräson, säkularem Turkismus und Islamismus, in: Lobna Jamal, Yasar Aydin (Hg.): „Graue Wölfe“ – Türkischer Ultranationalismus in Deutschland, 2022, S. 23. zurück
  12. Später wurde diese Bezeichnung generell für Anhänger der „Nationalistischen Bewegung“ verwendet, auch in Deutschland. zurück
  13. Vgl. Emre Arslan: Der Mythos der Nation im Transnationalen Raum – Türkische Graue Wölfe in Deutschland, Wiesbaden 2009, S. 113 ff. zurück
  14. Übersetzung durch das Landesamt für Verfassungsschutz. zurück
  15. Lena Wiese: Frauen in türkischen ultranationalistischen Szenen in Deutschland, in: Lobna Jamal, Yasar Aydin (Hg.): „Graue Wölfe“ – Türkischer Ultranationalismus in Deutschland, 2022, S. 126 ff. zurück

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