VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES | REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER | RECHTSEXTREMISMUS 

Corona-Proteste: Trotz Teilnehmerrückgang bleiben Extremisten aktiv

Die Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie nehmen spürbar ab, was hauptsächlich mit den Maßnahmenlockerungen sowie dem Krieg Russlands gegen die Ukraine zusammenhängen dürfte. Extremistische Akteure versuchen, ihre Themen zu erweitern, um die während der Pandemie erlangte Reichweite und Anschlussfähigkeit nicht zu verlieren. Die gestiegenen Energie- und Kraftstoffpreise sowie zu erwartende Maßnahmen gegen den Klimawandel können zukünftig das Protestgeschehen bestimmen und dafür sorgen, dass Extremisten verschiedener Phänomenbereiche ihre Positionen auch weiterhin in der Bevölkerung verbreiten. Hierdurch besteht auch weiterhin Gefahr der Radikalisierung von Personen, die bislang keinen Bezug zum Extremismus aufweisen.

Mit Ausnahme einzelner, gut besuchter Demonstrationen wie beispielsweise im März 2022 in Reutlingen (in der Spitze bis zu 7.500 Personen), ist das Protestgeschehen rund um die staatlichen Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie stark rückläufig. Dies dürfte hauptsächlich an den weitreichenden Lockerungen der Maßnahmen sowie am Scheitern einer Impfpflicht über Pflegeberufe hinaus im Bundestag Anfang April liegen. In Teilen der Protestszene wird letzteres als Sieg des eigenen Engagements gefeiert, andere erachten die Abstimmung lediglich als Aufschub der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Wesentliche Gründe zur Teilnahme an entsprechenden Demonstrationen sind allerdings weggefallen. Es sind zum jetzigen Zeitpunkt schlicht weniger Menschen von den (verbliebenen) Maßnahmen betroffen. 

Rückgang der Corona-Proteste

Zudem beherrscht Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine maßgeblich die öffentliche Diskussion sowie die mediale Berichterstattung und überschattet dementsprechend die Auseinandersetzung um den Umgang mit der Pandemie. Teilweise werden beide Themen im Protestgeschehen auch gezielt vermischt: So finden beispielsweise in Karlsruhe regelmäßig Veranstaltungen statt, die sich gegen eine Impfpflicht richten bzw. für eine „freie Impfentscheidung“ einsetzen und zugleich die Diskriminierung russischer Bürger im Sinne der Kreml-Propaganda in Deutschland thematisieren. Aber auch durch diese Themenverknüpfung gelingt es den Organisatoren nicht, ihre frühere Anschlussfähigkeit wiederzuerlangen. Die prorussischen Haltungen und Äußerungen führender Akteure des Protestgeschehens erscheinen hierbei kaum förderlich

Gefahr durch bereits radikalisierte Personen

Innerhalb sowie im Umfeld der Corona-Proteste haben sich Personen in den vergangenen beiden Jahren radikalisiert. Dies gilt insbesondere für die Phänomenbereiche „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ sowie „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“. Diese Radikalisierungsprozesse wurden von den im Protestgeschehen zahlreich verbreiteten Verschwörungsideologien befördert oder sogar ausgelöst. Sie bieten einfache, vermeintlich schlüssige und umfassende Erklärungen für kaum überschaubare Sachverhalte. Dazu gehören beispielsweise die Corona-Pandemie und die Vorgänge rund um den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Die Verschwörungserzählungen enthalten klare, nahezu beliebig erweiterbare Feindbilder, deren Bekämpfung implizit oder explizit von den Anhängern gefordert wird.

Je tiefer Personen in Verschwörungsideologien eingetaucht sind, desto schwieriger ist es für diese, wieder in das „alltägliche Leben“ nach Corona zurückzukehren. Es muss davon ausgegangen werden, dass Einzelpersonen oder Kleinstgruppen mit einem inzwischen nahezu geschlossenen, verschwörungsideologisch geprägten Weltbild weiterhin gefährlich sind. Sie betrachten Entscheidungen von staatlichen Repräsentanten grundsätzlich als feindselig und gehen davon aus, dass sie – auch mithilfe einer angeblich erzwungenen Impfung – geschädigt oder sogar getötet werden sollen. Auch wenn die Bezüge dieser Personen zur Realität nur noch marginal oder überhaupt nicht mehr vorhanden sein mögen, besteht die reale Gefahr erheblicher Straftaten. Dies zeigte sich innerhalb kürzester Zeit mehrfach: So können Gewalttaten wie in Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz) im September 2021 und der erweiterte Suizid in Königs Wusterhausen (Brandenburg) im Dezember 2021 in diesem Zusammenhang betrachtet werden.

Ausblick

Es sind Versuche durch bekannte Corona-Protestakteure erkennbar, die thematische Ausrichtung der Proteste zu verschieben oder zu erweitern. Insbesondere wird versucht, den Krieg in der Ukraine zu instrumentalisieren, jedoch werden hier innerhalb der (ehemaligen) Corona-Protestteilnehmer auch unterschiedliche Positionen vertreten. Für eine Themenanreicherung eignen sich grundsätzlich auch die Inflation oder steigende Energie- und Kraftstoffpreise als mittelbare Auswirkungen des Angriffskrieges Russlands. Langfristig könnten Themen wie der Klimawandel und damit zusammenhängende staatliche Maßnahmen genutzt werden, um die Anschlussfähigkeit an breitere Gesellschaftsschichten zu erhöhen und erneut extremistische Ideologien in zukünftigen Protestformaten zu platzieren.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Veranstaltungen im Zusammenhang mit staatlichen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie wieder mehr Zulauf gewinnen, falls im Herbst oder Winter erneut Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung des Virus notwendig werden sollten, beispielsweise beim Auftreten einer neuen Covid-Variante.

Gesellschaftliche Krisen eignen sich, wie sich in den vergangenen Jahren immer wieder zeigte, als Anknüpfungspunkte für Extremisten aller Phänomenbereiche. Sie versuchen, ihre Positionen in der Gesellschaft zu verbreiten, indem sie Verachtung gegen den Staat und seine Repräsentanten schüren und bestimmte Personengruppen pauschal als Schuldige diffamieren. Sie finden immer wieder neue Anhänger, von denen dann – auch nach überwundener Ausnahmesituation – einige Personen ihr neugewonnenes oder geschärftes extremistisches Weltbild beibehalten. Aus Sicht des Verfassungsschutzes ist hierbei die Entwicklung eines harten, staatsfeindlichen „Kerns“ der ehemals reichweitenstarken Protestbewegung besorgniserregend; ebenso aber Personen, die im Zuge des Protestgeschehens eine erste Sympathie für verfassungsfeindliche Positionen entwickelt haben und diese bis zum Eintritt der nächsten Krise „konservieren“.

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