Extremismus mit Auslandsbezug

PKK und Rechts-/Linksextremismus mit Türkeibezug: Aktivitäten in Baden-Württemberg und ihre Ursprünge im Ausland

Seit Mitte 2022 sind extremistische Organisationen mit Auslandsbezug in Baden-Württemberg verstärkt aktiv: Anhänger der „Arbeiterpartei Kurdistans“ („Partiya Karkeren Kurdistan“, PKK) versuchen, mit Protestaktionen auf den türkisch-kurdischen Konflikt aufmerksam zu machen. Akteure aus dem türkisch-rechtsextremistischen Spektrum organisieren Wahlkampfveranstaltungen im Vorfeld der Wahlen im Heimatland. Türkische Linksextremisten erinnern an Genossen, die in ihrem Kampf gegen den Staat zu Tode gekommen sind. Alle drei Phänomene haben ihren Ursprung im Ausland; darüber hinaus eint sie, dass sie die freiheitliche Demokratische Grundordnung sowie die Interessen- und Sicherheitslage der Bundesrepublik Deutschland gefährden können.

„Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK)

Gegen Ende des Jahres 2022 fanden in Baden-Württemberg vermehrt Protestaktionen von Anhängern der PKK statt, die in Deutschland seit 1993 verboten ist. Emotionalisiert und mobilisiert wurden die Protestierenden durch unterschiedliche Ereignisse vor allem in der Südosttürkei, im Nordirak und in Nordsyrien. Hintergründe ihrer Aktionen sind zum einen der historische Streit rund um Autonomiebestrebungen in den dortigen kurdischen Siedlungsgebieten und zum anderen die Bemühungen der türkischen Regierung, dieses Ansinnen zu unterbinden. 
In Deutschland organisiert die PKK-nahe Szene regelmäßig Demonstrationen, um auf den Kurdenkonflikt aufmerksam zu machen. Außerdem hält sie Gedenkveranstaltungen zur Ehrung ihrer „Märtyrer“ ab, die in diesem bewaffneten Konflikt gefallen sind. Auf die folgenden Ereignisse vom November und Dezember 2022 reagierten PKK-Anhänger in Baden-Württemberg mit friedlichen Demonstrationen und Kundgebungen, aber auch mit gewalttätigen Aktionen und Sachbeschädigungen: 

Auf der belebten Einkaufsstraße Istiklal Caddesi in Istanbul/Türkei ereignete sich am 13. November 2022 ein Bombenanschlag. Hinter diesem Attentat vermutet die türkische Regierung die PKK-nahen syrischen „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG). Zur „Vergeltung“ für den Anschlag griff das türkische Militär in der Nacht auf den 20. November 2022 kurdische Milizen im Nordirak und in Nordsyrien an. Dieses Vorgehen löste bundesweit eine Protestwelle aus, auch in Baden-Württemberg. Als unmittelbare Reaktion stürmten am selben Abend etwa zwei Dutzend Personen in den Stuttgarter Flughafen und protestierten vor dem Schalter einer türkischen Fluggesellschaft gegen die neuerliche Militäroffensive. Sie prangerten zudem den angeblichen Einsatz von Chemiewaffen durch die türkische Armee an. Während des Protests skandierten sie PKK-Parolen wie „Biji Serok APO“ („Lang lebe Volksführer APO“; APO steht für den inhaftierten PKK-Gründer Abdullah ÖCALAN) und „Be Serok Jiyan Nabe“ („Kein Leben ohne den Volksführer“). 

Protestaktion von PKK-Anhängern am 20. November 2022 am Stuttgarter Flughafen.

Über die Aktion am Stuttgarter Flughafen berichtete die PKK-nahe Online-Plattform „Nuce Ciwan“ („Nachrichten der Jugend“) mit einem Beitrag, der auch einen etwa dreiminütigen Videozusammenschnitt enthält. Auf einem Screenshot aus dem Video ist zu erkennen, dass Beteiligte vermummt waren und ein Banner mit einem Stern und der Aufschrift „Solidarität mit Rojava“ trugen. Innerhalb der PKK-Szene ist „Rojava“ die geläufige Bezeichnung für das mehrheitlich kurdisch besiedelte Nordsyrien; Form und Farbgebung des Sterns sind an die verbotene PKK-Fahne angelehnt. Außerdem führten die Demonstranten mehrere Fahnen mit dem Abbild Abdullah ÖCALANs mit sich. ÖCALAN gilt unter PKK-Anhängern nach wie vor unbestritten als Identifikations- und Leitfigur, trotz seiner bereits über zwei Jahrzehnte andauernden Haft. Die Verwendung seines Porträts u. a. im Zusammenhang mit PKK-Demonstrationen ist in Deutschland seit 2017 verboten. 

Ebenfalls als Protestaktion gegen die neue türkische Militäroffensive beschmierten am 30. Dezember 2022 Unbekannte die Schaufenster der türkischen Deniz-Bank-Filiale in Stuttgart mit PKK-Parolen und schlugen die Scheiben mit Steinen ein. Auf „Nuce Ciwan“ erschienen kurz darauf ein Bekennungsschreiben und ein Tatvideo.  

Bei einem Angriff auf das kurdische Kulturzentrum „Ahmet Kaya“ in Paris wurden am 23. Dezember 2022 drei Kurdinnen und Kurden ermordet. Dieses Ereignis führte Ende des Jahres erneut zu einem erhöhten Demonstrationsaufkommen in Baden-Württemberg: Unter anderem in Heilbronn, Stuttgart und Ulm wurde bei Kundgebungen und Demonstrationen der drei Opfer gedacht. Die PKK-nahe Szene vermutet türkische staatliche Stellen als Drahtzieher hinter dieser Tat, die der Ermordung dreier Aktivistinnen 2013 in Paris ähnelt. Daher beklagten die Demonstranten einen „angeblichen“ Mangel an Sicherheit für Kurden in Europa. Überdies versuchten sie, auf die Lage in den mehrheitlich kurdisch besiedelten Gebieten im Nordirak und Nordsyrien aufmerksam zu machen. Die Protestaktionen gipfelten am 7. Januar 2023 in einer Großdemonstration in Paris, an der auch PKK-Anhänger aus Baden-Württemberg teilnahmen.

Türkischer Rechtsextremismus

Voraussichtlich am 14. Mai 2023 finden in der Türkei die Wahl zum Parlament und die Präsidentschaftswahl statt, die weltweit als Schicksalswahlen für die weitere Entwicklung der Republik gelten. Wahlberechtigt sind auch ca. 1,4 Millionen türkische Staatsangehörige, die in Deutschland leben. Lange im Voraus sind daher Wahlkampfaktivitäten vor allem der Regierungsparteien Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (Adalet ve Kalkinma Partisi, AKP; kein Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden) und der ultranationalistischen „Partei der Nationalistischen Bewegung“ („Milliyetci Hareket Partisi“, MHP) in Deutschland zu beobachten. 

Regierungsnahe Institutionen haben bereits zahlreiche Besuche von AKP- und MHP-Abgeordneten bei türkisch-rechtsextremistischen Vereinen in Deutschland organisiert. Eine AKP-Abgeordnete besuchte beispielsweise im September 2022 Vereine der türkisch-rechtsextremistischen „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V.“ („Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu“, ADÜTDF) in Stuttgart und Heilbronn. Die Politiker gaben an, bei ihren Besuchen Briefe des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan an die Vereine verteilt zu haben. In den Schreiben bittet dieser um die Unterstützung der türkischen Bevölkerung in Europa bei den anstehenden Wahlen. 

Besondere mediale Aufmerksamkeit erregte jedoch der AKP-Abgeordnete Mustafa Acikgöz im Januar 2023. Er besuchte in Neuss/Nordrhein-Westfalen eine Moschee, die einem ADÜTDF-Verein angehört. Dort hielt er eine Hassrede gegen PKK-Anhänger und die Gülen-Bewegung (kein Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden) und rief zu deren Vernichtung auf. Die ADÜTDF ist mit etwa 40 Mitgliedsvereinen der größte türkisch-rechtsextremistische Dachverband in Baden-Württemberg und wird vom Verfassungsschutzverbund beobachtet. Sie vertritt die Interessen der türkisch-rechtsextremistischen MHP in Europa.

Auch Konzerte unter dem Motto „Kultur- und Idealisten-Fest“ („Kültür ve Ülkü Söleni“) dienen zu Wahlkampfzwecken. Bei diesen Veranstaltungen treten Musiker, die in der türkisch-rechtsextremistischen Szene beliebt sind, vor hunderten Besuchern auf. Üblicherweise eröffnen hochrangige ADÜTDF-Vorstandsmitglieder die Konzerte mit politischen Ansprachen. Zuletzt fand am 4. Februar 2023 ein solches Konzert mit mehreren hundert Teilnehmenden in Heilbronn statt. Auf einem von der ADÜTDF geteilten Foto ist zu sehen, dass hier ihr Bundesvorsitzender Sentürk DOGRUYOL eine Rede hielt. Der Bundesvorsitzende ist Bindeglied zwischen den Mitgliedsvereinen vor Ort und der politischen Führung in der Türkei. Auf der Leinwand hinter DOGRUYOL ist groß das ADÜTDF-Emblem mit der Aufschrift „Türk Federasyon“ („Türkische Föderation“) eingeblendet. An der linken Bühnenseite findet sich u. a. das Porträt von Alparslan Türkes. Dieser gilt auch nach seinem Tod als einer der bedeutendsten ideologischen Vordenker des türkischen Rechtsextremismus und wird innerhalb dieses politischen Milieus als Symbolfigur verehrt. Sein Konterfei kombinieren türkisch-rechtsextremistische Vereine in der Regel mit Abbildungen von Devlet BAHCELI, dem derzeitigen MHP-Vorsitzenden, und Mustafa Kemal Atatürk, dem Begründer der Republik Türkei. 

ADÜTDF-Veranstaltung am 4. Februar 2023 in Heilbronn.

Türkischer Linksextremismus

Im Januar 2023 gaben die „Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei“ („Marksist Leninist Komünist Parti“, MLKP) und ihre Jugendorganisation „Young Struggle“ (YS) in Deutschland bekannt, dass zwei ihrer Mitglieder am 3. Januar 2023 bei einem Drohnenangriff des türkischen Militärs in Nordsyrien ums Leben gekommen seien. Beide hätten der bewaffneten Kampfeinheit der MLKP angehört, die unter anderem mit Terroranschlägen gegen den türkischen Staat kämpft. Teile der Szene arbeiten dabei auch mit der PKK zusammen. Ziel der MLKP ist eine revolutionäre Zerschlagung der Gesellschafts- und Staatsordnung in der Türkei und der Aufbau einer kommunistischen Diktatur.

Türkisch-linksextremistische Organisationen erklärten die beiden MLKP-Mitglieder zu „Märtyrern“ und instrumentalisierten ihren Tod für die eigene Propaganda. In verschiedenen einschlägigen Internetforen der Szene wurde über den Fall berichtet.1 Einer der Verstorbenen hatte familiäre Bezüge in die Region Stuttgart, der andere war als „Young-Struggle“-Mitglied in der antifaschistischen Bewegung vor allem in Nordrhein-Westfalen aktiv. Bereits am 8. Januar 2023 fand in Stuttgart eine – zuvor bundesweit beworbene – große Gedenkveranstaltung statt, bei der u. a. Familienangehörige der Verstorbenen Reden hielten. Die MLKP-nahe Nachrichtenplattform „Avrupa Demokrat“ („Europäischer Demokrat“) veröffentlichte einen Beitrag zu dem Gedenken; laut ihrem Bericht nahmen über tausend Menschen daran teil. 
Die kurzfristige Gedenkveranstaltung und die hohe Teilnehmerzahl belegen das starke Mobilisierungspotenzial der Szene. Auf einem dazu veröffentlichten Bild sind die zahlreichen Teilnehmenden zu sehen, die sich in Stuttgart zusammengefunden haben, um der beiden „Märtyrer“ zu gedenken. Hierfür wurden Fotos der Verstorbenen auf eine große Leinwand projiziert und auch zahlreiche Fahnen der MLKP (roter Hintergrund mit Hammer und Sichel) aufgestellt. Solche Fahnen sind ein bekanntes Symbol des Kommunismus. Bei den Räumlichkeiten handelt es sich um eine privat betriebene Halle, die unterschiedliche extremistische Organisationen regelmäßig für Veranstaltungen nutzen.

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1 Siehe z. B.: AVEG-KON, Beitrag „Der kommunistische Führer Zeki Gürbüz und Kommandant Özgür Namolu sind unsterblich! Köpfe hoch, Genoss:innen!“ vom 7. Januar 2023; abgerufen am 13. März 2023;
TKP-ML, Beitrag „TKP-ML MK: Ahmet Sores Ve Fırat Neval Ölümsüz-dür!“ vom 10. Januar 2023; abgerufen am 13. März 2023.

Hintergrund

Wie die beschriebenen Ereignisse zeigen, haben Aktivitäten im Bereich des Auslandsbezogenen Extremismus und Terrorismus ihren Ursprung in der Regel in Entwicklungen, Konflikten oder Krisen im Ausland: Politische oder gesellschaftliche Gegebenheiten in den Heimatländern, beispielsweise repressive Maßnahmen gegen Minderheiten und ethnische Gruppen, Bürgerkriege oder separatistische Bestrebungen, können dazu führen, dass extremistische Gruppierungen Teile ihrer Betätigungen in andere Staaten wie Deutschland verlagern und dort sicherheitsrelevante Dynamiken auslösen. Ihre Tätigkeiten hierzulande reichen von Propagandaaktivitäten über Demonstrationen bis hin zu Straftaten von unterschiedlicher Intensität. Nicht zuletzt die transnationale Vernetzung durch das Internet, die eine Teilhabe an Entwicklungen in den Herkunftsländern in Echtzeit ermöglicht, begünstigt die rasche Entstehung solcher Dynamiken.

Bewertung

Die jüngsten politischen Entwicklungen, die anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei sowie die Erdbebenkatastrophe vom 6. Februar 2023, von der das mehrheitlich kurdisch besiedelte Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien in besonderem Maß betroffen ist – jeder dieser Aspekte hat für sich das Potenzial, weitere und neue Aktivitäten aus der PKK-nahen, der türkisch-rechtsextremistischen oder der türkisch-linksextremistischen Szene in Baden-Württemberg hervorzurufen. Daher ist für die kommenden Monate mit weiteren Protestaktionen und auch mit wahlkämpferischen Aktivitäten der unterschiedlichen Szenen zu rechnen. 

 

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