ISLAMISMUS

Ungebrochene Verehrung des Politikers und „Milli Görüs“-Begründers Necmettin Erbakan in der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş e.V.“

Anlässlich des 12. Todestags des Politikers Necmettin Erbakan zeigte sich einmal mehr, in welchem Maß diesem innerhalb der IGMG weiterhin größter Respekt und höchste Anerkennung entgegengebracht werden - anders als jüngste Äußerungen des IGMG-Generalsekretärs Ali METE in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ nahelegen sollen. Die Verehrung der Person Erbakan ist im gesamten Spektrum der IGMG festzustellen - egal ob in der Führungsspitze, der mittleren Hierarchieebene oder bei den Mitgliedern an der Basis.

Zwölf Jahre sind seit dem Tod Necmettin Erbakans am 27. Februar 2011 vergangen und trotz wiederkehrender öffentlicher Bekundungen von IGMG-Funktionären, sich zwischenzeitlich kritisch mit dem Erbe des „Hodscha“ auseinandergesetzt zu haben, zeichnen muttersprachliche Treuebezeugungen ein anderes Bild. Die bekanntermaßen antisemitischen, antiwestlichen und antipluralistischen Komponenten des Gedankenguts von Erbakan bilden von jeher den Kern der Problematik, um die sich gesellschaftspolitische Debatten außerhalb der IGMG immer wieder neu entzünden. Betrachtet man die Gefolgschafts- und Respektsbekundungen der Führungsebene aus der IGMG-Zentrale in Köln, von Regionalverbänden und Ortsvereinen sowie Einzelpersonen, so kann man diesen keine kritische Distanz zu Erbakan attestieren. Im Gegenteil: Die Zustimmung zu seinen ordnungspolitischen Vorstellungen ist ungebrochen, und die Verehrung seiner Person kennt keine Grenzen.

Bedeutung Erbakans wird auch der jungen Generation vermittelt

Der IGMG-Generalvorsitzende Kemal ERGÜN erinnerte mit den Worten „Mit Wohlwollen und Dankbarkeit gedenke ich Prof. Dr. Necmettin Erbakans, des wertvollen Wissenschaftlers und Politikers, der lebenslang das Wohl der gesamten Menschheit im Sinn hatte“ in einem Facebook-Post vom 27. Februar 2023 an den Gründer der „Milli Görüs“-Bewegung und attestierte diesem einen politischen Gestaltungswillen, der weit über die Grenzen des eigenen Landes hinausweise. Auch auf regionaler Ebene waren vielfältige Äußerungen der Hochachtung und Ehrerbietung aus IGMG-Kreisen zu verzeichnen: So veranstaltete der IGMG-Jugendverband Württemberg im Ortsverein Göppingen bereits im Vorfeld des Jubiläumsgedenkens am 11. Februar 2023 ein sogenanntes „Herzensgespräch“ – eine Form der Unterweisung, bei der zu einem religiösen Thema oder einer bedeutenden Person aus der Historie gesprochen wird. In Göppingen referierte der Vorsitzende der „Kommission für religiöse Rechtleitung“ des IGMG-Regionalverbands Württemberg zur Person Necmettin Erbakans; eingeladen zur Veranstaltung waren auch die Jugendlichen der Ortsvereine Esslingen, Fellbach, Schorndorf, Schwäbisch Gmünd und Waiblingen. Die Bedeutung Erbakans für die „Milli Görüs“-Bewegung insgesamt und für die IGMG darzustellen ist folglich ein Anliegen, das auch der jungen Generation innerhalb der IGMG vermittelt wird und mit dem der Fortbestand der ideologischen Grundelemente sichergestellt werden soll.

Bedingungslose Gefolgschaft für den „Glaubenskämpfer“

In Baden-Württemberg erinnerten außerdem die IGMG-Regionalverbände Württemberg, Schwaben und Freiburg-Donau in Gedenkveranstaltungen an „Die Vorangegangenen“ („Önden Gidenler“), bei denen Erbakan und weiterer verstorbener Protagonisten der IGMG gedacht wurde. Die drei Veranstaltungen fanden am 26. Februar 2023 parallel in Esslingen, Ulm und Villingen-Schwenningen statt. Es waren Referenten aus der Zentrale der IGMG in Köln präsent sowie die jeweiligen Regionalverbandsvorsitzenden.

 Ein Post auf Facebook vom 27. Februar 2023, der tiefe Verbundenheit mit Erbakan und höchste Wertschätzung für ihn als „Glaubenskämpfer“ und als „Mann der Mission“ ausdrückt, stammt vom Frauen- und Frauenjugendverband des IGMG-Ortsvereins Walldorf. „Unser Hodscha“ Erbakan, so verdeutlicht der in sehr emotionaler Sprache abgefasste Text, verkörpert für die Anhängerinnen den „Führer“, dessen Mission sie folgen und dem sie bedingungslos Gefolgschaft leisten. „Ohne ihn, aber stets auf seinem Weg“ – mit diesem Motto verknüpfen sie das Gebet für Erbakan, im Paradies verweilen zu dürfen und gar für sie Fürsprache bei Allah einzulegen.

 Der IGMG-Jugendverband Heilbronn wiederum postete am 2. März 2023 ein Portrait Erbakans mit seinem Ausspruch „Diejenigen, die sich vom System ernähren, verändern das System nicht“. Ordnet man die Aussage in den historischen Kontext ein, so ist offensichtlich, dass mit dem „System“ hier in erster Linie die republikanische und laizistische Staatsordnung der Türkei gemeint ist – und in einem größeren Zusammenhang diejenigen „Systeme“, die nicht der gesellschaftspolitischen Vision Erbakans von einer „islamischen Ordnung“ entsprechen und deshalb verändert werden müssen. 

Personenkult um Erbakan wird andererseits bestritten

Die uneingeschränkte Wertschätzung Erbakans und das konsequente Eintreten für seine gesellschaftspolitischen Vorstellungen, die in diesen Äußerungen deutlich werden, stehen in starkem Kontrast zu den Äußerungen, die von IGMG-Funktionären zeitweise in Richtung der deutschen Öffentlichkeit adressiert werden. Insbesondere aufgrund der eindeutigen antisemitischen Aussagen Erbakans, die ein Bestandteil seiner Programmatik sind, wird die Bedeutung des „Hodscha“ für die IGMG von der Führungsebene der Organisation selbst regelmäßig relativiert. Teils wird sogar der Versuch unternommen, ihn als marginale Randfigur zu charakterisieren. 

 In einem am 10. Januar 2023 in der Tageszeitung „Die Welt“ veröffentlichten Interview erklärte der neue Generalsekretär der IGMG, Ali METE, auf den Vorhalt, es gebe einen regelrechten Personenkult um Erbakan: „Personenkult würde ich das nicht nennen. Es wird an ihn gedacht, aber seine Ansichten sind nicht bestimmend für unsere Arbeit.“ Im weiteren Verlauf des Interviews kam es weder zu einer klaren Verurteilung seiner antisemitischen Positionen noch zum Zugeständnis seiner herausragenden Stellung für die IGMG. 

So schließt sich trotz dieses vermeintlichen Widerspruchs der Kreis, der die beiden unterschiedlichen sozialen Öffentlichkeiten verbindet, die die IGMG adressiert: die eigene Gemeinschaft einerseits und die nicht-muslimische deutsche Öffentlichkeit andererseits. Um keine der beiden Zielgruppen vollständig zu irritieren, zielen öffentliche Äußerungen auf eine „Mittelposition“ ab, die jedoch den Tatsachen nicht gerecht wird – was letztlich die Irritation beider Zielgruppen festigt.

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