AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS

Ideologische Vordenker der „Ülkücü-Bewegung“
Teil 3: Muhsin Yazıcıoğlu

In der Reihe zu ideologischen Vordenkern des türkischen Rechtsextremismus wurde bisher die zentrale Bedeutung von Hüseyin Nihal Atsiz und Alparslan Türkes thematisiert. Auch Muhsin Yazıcıoğlu gehört zu den wichtigen Symbol- und Identifikationsfiguren dieser Szene. Insbesondere die „Föderation der Weltordnung in Europa“ („Avrupa Nizam-ı Âlem Federasyonu“, ANF) und die ihr zugehörigen Vereine in Baden-Württemberg verehren den im Jahre 2009 gestorbenen Yazıcıoğlu bis heute. Im letzten Beitrag der Reihe geht es daher um Yazıcıoğlu und seine Bedeutung für die türkisch-rechtsextremistische „Ülkücü“-Bewegung.

Muhsin Yazıcıoğlu wurde am 31. Dezember 1954 geboren und starb am 25. März 2009 bei einem Helikopterabsturz im Südosten der Türkei. Von den Vorstellungen des türkisch-rechtsextremistischen Ideologen Nihal Atsiz beeinflusst, engagierte er sich bereits ab 1968 in der ultranationalistischen türkischen Jugendbewegung. Ihre Gruppierungen traten für die von Alparslan Türkes verbreiteten Prinzipien ein, darunter die kritiklose Überhöhung und Verherrlichung des „Türkentums“, das für Türkes und seine Anhänger wichtiger war beziehungsweise ist als die Grundsätze der Demokratie. Darüber hinaus sollten sich alle „türkischen Länder“, womit insbesondere die turksprachigen Staaten und Regionen im Kaukasus und Zentralasien gemeint waren und sind, in einem Staat vom Balkan bis nach Ostasien vereinigen. Demzufolge wurde die ethnische, religiöse und sprachliche Vielfalt der türkischen Gesellschaft grundsätzlich abgelehnt. 

Von 1977 bis 1979 war Yazıcıoğlu zunächst Vorsitzender der „Ülkücü“-Vereine und ihrer Jugendorganisation. 1980 wurde er Berater von Alparslan Türkes und war somit in führender Funktion in der von Türkes geleiteten ultranationalistischen „Partei der Nationalistischen Bewegung“ („Milliyetci Hareket Partisi“, MHP) tätig. Die MHP versteht sich als parteipolitischer Arm der türkisch-rechtsextremistischen „Ülkücü“-Bewegung. Die jungen MHP-Anhänger – auch „Graue Wölfe“ („Bozkurtlar“) genannt, eine Bezeichnung, die später generell für Anhänger der „Nationalistischen Bewegung“ Verwendung fand – verübten insbesondere in den 1970er Jahren in der Türkei und in Europa zahlreiche Anschläge auf kommunistisch beziehungsweise sozialistisch eingestellte Personen sowie gegen alevitische und kurdische Minderheiten; diese Gewalttätigkeiten trugen mit zum Militärputsch in der Türkei am 12. September 1980 bei. Die juristische Aufarbeitung belegte, dass die Anhänger der „Grauen Wölfe“ allein zwischen 1974 und 1980 für Hunderte Morde in der Türkei verantwortlich waren. Zahlreiche MHP-Funktionäre und Mitglieder weiterer „Ülkücü“-Organisationen wurden strafrechtlich belangt und mit Politikverbot belegt; Muhsin Yazıcıoğlu erhielt eine siebenjährige Haftstrafe, davon fünf Jahre in Einzelhaft.

Ziel: eine türkisch dominierte „Weltordnung“

Yazıcıoğlu verließ die MHP 1992, weil Türkes seiner Meinung nach „zu angepasst“ war und er selbst dem Islam mehr Raum einräumen wollte. 1993 gründete Yazıcıoğlu die „Große Einheitspartei“ („Büyük Birlik Partisi“, BBP). Bis zu seinem Tod 2009 war er für insgesamt zehn Jahre Abgeordneter der BBP im türkischen Parlament. Die BBP versteht sich zwar als Teil der türkisch-rechtsextremistischen „Ülkücü“-Bewegung, doch betont sie sehr viel deutlicher die Einheit aus Nationalismus (Türkentum) und Religion (Islam) und ist daher in der Schnittmenge von Ultra-Nationalismus und politischem Islamismus zu verorten. Zur langfristigen Agenda der BBP gehört die Vereinigung aller Turkvölker in einem Staat beziehungsweise die Erschaffung einer islamisch-osmanisch konnotierten „Weltordnung“ unter türkischer Führung. Ihre Ideologie richtet sich dabei explizit gegen die Rechte ethnischer und religiöser Minderheiten. Der Herrschaftsanspruch der BBP drückt sich sinnbildlich in der unter ihren Mitgliedern und Anhängern verbreiteten wiederholten Aussage Yazıcıoğlus über seine Vision des künftigen türkischen Staates aus:

„Ich habe einen Traum. Ich sehne mich nach einer geeinten, mächtigen türkischen Welt, von der Adria bis zur Chinesischen Mauer.“

Yazıcıoğlus Anhänger in Deutschland und Baden-Württemberg

Die Anhänger Yazıcıoğlus und Mitglieder der von ihm gegründeten BBP sind in Europa in zahlreichen „Alperen“-Vereinen („Alperen Ocakları“) aktiv, deren Name Bezug auf einen türkisch-seldschukischen Herrscher nimmt. Als Europaorganisation der BBP fungiert die „Föderation der Weltordnung in Europa“ („Avrupa Nizâm-ı Âlem Federasyonu“, ANF). Die ANF hatte sich 1994 von der „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V.“ („Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu“, ADÜTDF) abgespalten. Der im Namen der ANF enthaltene Begriff „Nizâm-ı Âlem“ bezieht sich auf die osmanische Vorstellung einer von Allah geschaffenen und von Türken beherrschten „Weltordnung“.

Dem Dachverband ANF, der sich in der Vergangenheit „Verband der türkischen Kulturvereine in Europa“ („Avrupa Türk Kültür Dernekleri Birliği“ bzw. „Avrupa Türk Birliği“, ATB) nannte, sind in ganz Deutschland etwa 15 Vereine mit circa 1.000 Anhängern zuzuordnen. In Baden-Württemberg sind etwa 50 Mitglieder in drei ANF-Ortsvereinen aktiv. Neben der ADÜTDF zählt die ANF zu den bedeutenden Akteuren in der türkisch-rechtsextremistischen Szene. Auf Facebook etwa verfügen entsprechende Kanäle insgesamt über etwa 15.000 Follower, schwerpunktmäßig im Raum Mannheim und im Großraum Stuttgart. 

Anhaltender Führerkult

Um Muhsin Yazıcıoğlu wird in den ANF-Vereinen bis heute ein großer Führerkult betrieben und der Öffentlichkeit zur Schau gestellt. Porträts und Zitate des Vordenkers der „Ülkücü“-Bewegung gehören zur üblichen Dekoration in den Vereinsräumen und auf ANF-Veranstaltungen. Aus Anlass seines Geburts- und Todestags posten die Mitgliedsvereine auf Social-Media-Plattformen regelmäßig Ehrbezeugungen für oder Zitate von Yazıcıoğlu. Die folgenden Beispiele belegen den ungebrochenen und demonstrativen Führerkult.

Die Bewunderung für Yazıcıoğlu drückt sich unter anderem in der Gestaltung von Profilbildern und Startseiten ANF-naher Social-Media-Accounts aus. In vielen Fällen gehört hierzu neben einem Logo das Konterfei ihrer Symbolfigur, das etwa auf der Startseite einer Stuttgarter ANF-Gruppe ersichtlich ist. Dieses bekannte und unter seinen Anhängern beliebte Bild, auf dem Yazıcıoğlu väterlich-gütig lächelt, symbolisiert die äußerst enge Verbundenheit und Identifikation mit seiner Person. 

Seine Anhänger gedenken Yazıcıoğlus auch 14 Jahre nach seinem Tod regelmäßig an dessen Geburts- und Todestag. Zum Beispiel würdigte ihn eine Stuttgarter ANF-nahe Facebook-Gruppe in einem Posting im Dezember 2022 mit seinem Porträt und dem Schriftzug „31 Aralık 1954 – Doğum Günün Kutlu Olsun“ (deutsch: 31. Dezember 1954 – Alles Gute zum Geburtstag“). Diese persönliche Würdigung zeugt ebenfalls von einem weitreichenden Personenkult unter seinen Anhängern.

Geburtstagsposting
Geburtstags-Posting auf Facebook

Zum 14. Todestag von Yazıcıoğlu würdigte ihn der derzeitige ANF-Vorsitzende Erol Yazıcıoğlu, ein Verwandter Muhsin Yazıcıoğlus, im März 2023 auf der „Muhsin Yazıcıoğlu Gedenkveranstaltung“ beim Eislinger ANF-Verein als „Anführer und Märtyrer“. Unterstrichen wird seine herausgehobene Bedeutung in zwei zu diesem Anlass auf dem Facebook-Account des Vereins geposteten Videos. In einem sind Szenen von Yazıcıoğlus Beisetzung 2009 und der Gedenkveranstaltung vom März 2023 zu sehen.

In dem mit Bildern und Zitaten von Yazıcıoğlu unterlegten zweiten Video beklagt ein Trauerlied dessen Tod. Neben dem Porträt von Yazıcıoğlu ist der Zusatz „1954 – ꝏ“ platziert, also sein Geburtsjahr mit dem Symbol für „Unendlichkeit“. Die Botschaft ist eindeutig: Yazıcıoğlu lebt als ihr Idol in den Gedanken seiner Anhänger weiter – und damit auch die von ihm vertretene türkisch-rechtsextremistische Ideologie. Eine derartige Erinnerung an ihn als zentrale Identifikationsfigur – samt kritiklos positiver Darstellung seines Wirkens – stärkt den inneren Zusammenhalt der ANF-Anhängerschaft.

Gedenkvideo
Gedenkvideo zum 14. Todestag von Muhsin Yazıcıoğlu (Screenshot)

Bewertung

In der Gesamtschau ist der ungebrochene Führerkult um Muhsin Yazıcıoğlu unter der ANF-Anhängerschaft ersichtlich. Er ist und bleibt ihre unangefochtene und zentrale Identifikationsfigur, auch in Baden-Württemberg.

Unter anderem dieses Festhalten an Yazıcıoğlu und seiner durch rechtsextremistische Elemente geprägten Ideologie begründet die Beobachtung der ANF und ihrer Mitgliedsvereine durch den Verfassungsschutz – trotz eines um rechtskonformes Auftreten bemühten öffentlichen Auftretens dieser Vereine und ihrer Funktionäre. Denn damit versuchen die Verantwortlichen lediglich den tatsächlichen ideologischen Inhalt der „Ülkücü“-Bewegung zu verschleiern. Täuschen lassen sollte man sich davon nicht.

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