Er wird zwar auch als Prediger in Moscheen eingeladen, sein Hauptaktionsfeld ist aber der virtuelle Raum: Ibrahim AL-AZZAZI (amtliche
Schreibweise: EL-AZZAZI), geboren 1996 in München, veröffentlicht insbesondere Kurzvideos auf TikTok und YouTube. Darin
beantwortet er äußerst pointiert die vorab eingereichten Fragen. Beispiele:
„Welche Tat liebt Allah am meisten?“
„Wie lang sollte der Bart bei einem muslimischen Mann sein?“
„Wie kann man Diebstahl wieder gut machen?“
„Darf man standesamtlich heiraten?“
„Darf man ins Schwimmbad gehen?“
„Mercedes oder BMW?“
„Darf man bei Lieferando arbeiten?“
„Wie lernt man eine Frau halal [arabisch: „erlaubt“] kennen?“
Mit seinen knappen Ausführungen dazu suggeriert er, es gebe auf alle Fragen des Lebens nur eine richtige Antwort mit universeller
Geltung. Indem er die Fragen nicht gesammelt in einem längeren Beitrag, sondern einzeln in Kurzvideos abhandelt, schafft er eine sehr
starke virtuelle Präsenz.
Daneben werden, insbesondere auf seinem Instagram-Kanal, auch Predigten und Vorträge von AL-AZZAZI veröffentlicht oder live gestreamt.
Neben seinen Online-Aktivitäten betätigt sich AL-AZZAZI auch bundesweit in Moscheen als Prediger. Er besuchte bereits mehrfach
Moscheegemeinden in Baden-Württemberg, zuletzt am 12. März 2022 den „Islamischen Verein Schramberg e.
V.“.
Religiöse Leitfigur ohne theologischen Hintergrund?
AL-AZZAZI inszeniert sich als salafistische Leitfigur oder Gelehrter. Eine Abgrenzung zu anderen islamistischen Influencern gelingt ihm
dabei jedoch kaum: Auch andere Prediger bespielen die von ihm angebotenen Formate; auch er vermittelt eine persönliche, sehr
konservative Interpretation des Islams.
Auffällig ist jedoch, dass er seine Aussagen nur selten mit Zitaten aus Koran und Sunna untermauert. Während andere salafistische
Prediger häufig Koransuren auf Deutsch oder Arabisch zitieren und damit ein gewisses theologisches Hintergrundwissen demonstrieren,
verzichtet AL-AZZAZI hierauf vollständig. Außer den islamischen Ehrenformeln – vgl. untenstehendes Zitat – finden
sich kaum arabische Anteile oder Koranzitate in seinen Vorträgen. Gleichwohl wird seine theologische Kompetenz auf den
Social-Media-Plattformen nur selten hinterfragt.
AL-AZZAZI verfügt offenbar nicht über eine fundierte theologische Ausbildung. Er bezeichnet sich selbst als Schüler des erzkonservativen ägyptischen Gelehrten Mustafa AL-ADAWY (geboren 1954), eines umstrittenen salafistischen Predigers. AL-ADAWY rief zum Boykott französischer Waren in Ägypten auf, nachdem sich der ermordete Lehrer Samuel Paty aus seiner Sicht der Prophetenbeleidigung schuldig gemacht hatte. 2020 wurde er in diesem Zusammenhang für kurze Zeit festgenommen. Zusammen mit weiteren bekannten Akteuren wie Muhammad HASSAN, Muhammad Hussein YAQOUB und Abu Ishaq AL-HAWAINI, die in der deutschsprachigen Salafistenszene ebenfalls hohes Ansehen genießen, ist AL-ADAWY ein sehr prominenter Fürsprecher einer unabhängigen Salafi-Bewegung in Ägypten.
Als AL-AZZAZI einmal die fehlende theologische Ausbildung vorgehalten wurde, veröffentlichte er auf Instagram folgenden Beitrag:
„AN DIE FEIGEN LÜGNER DIE KOMMENTARE LÖSCHEN ❤️
Ihr seid einfach lächerliche neidische Lügner
Ich werde für eure ganzen Lügen mein Haqq [deutsch: „Recht“] am jüngsten Tag nehmen.
Aber manche sagen ja ihr seid gesichtslose V-Männer, die einfach nur die Dawa in Deutschland zerstören
wollen.
Nochmal kurz gegen eure Lügen, damit auch diejenigen, die euch danach noch glauben, keine Ausreden am jüngsten Tag mehr
haben.
Bismillah [„im Namen Gottes“]:
1. War ich schon weit bevor ich bei den ehrenwerten gelehrten Al flayj und alsaad war auf der Bildfläche.
Und zwar seit Jahren.
In Riyad war ich jedoch vor nicht einmal 1,5 Jahren.
Zudem hab ich bei bekannteren Gelehrten gesessen.
Ich bin seit 5 Jahren direkter Schüler von Sheikh Mustafa Al-Adawy und davor von anderen Gelehrten in
Ägypten.
Ich hab es in keinerweise nötig mich irgendjemand zu zu schreiben.
Und ich habe circa 20 Sitzungen von Sheikh alflayj besucht und hab viele Audioaufnahmen und seine nahen Schüler kennen
mich.
Ich war sogar eine Zeit lang Admin seiner Telegramm Seite auf arabisch.“
[Quelle: www.instagram/tariqul.sahaba, Beitrag vom 3. März 2022, abgerufen am 25. November
2022.]
Im August 2022 wurde auf dem öffentlich-rechtlichen YouTube-Kanal Y-Kollektiv eine Reportage veröffentlicht, in der eine junge
Journalistin AL-AZZAZI zwei Tage lang begleitet. Wie darin berichtet wird, war eine Bedingung AL-AZZAZIs, dass er nicht mit der Reporterin
gleichzeitig im Bild erscheint – eben, weil sie eine Frau ist.
Neuere Aktivitäten
Im November dieses Jahres wurden im Internet Videos von Menschen verbreitet, die in Saudi-Arabien Halloween feiern. Islamische Gelehrten kritisierten dies scharf, unter anderem auch AL-AZZAZIs „Mentor“ Mustafa AL-ADAWY. Eine Stellungnahme, in der AL-ADAWY Menschen, die in muslimischen Ländern Halloween feiern, als „geistig Behinderte“ bezeichnet, hat AL-AZZAZI auf seinem Instagram-Account geteilt.
Derzeit bewirbt AL-AZZAZI im Vorspann einiger seiner Videos die sogenannte Winter-Umra („kleine“ Pilgerfahrt nach Mekka vom 22. Januar bis zum 2. Februar 2023) des Mannheimer Veranstalters „Bakkah-Reisen“, an der er als Reisbegleiter teilnehmen wird. Auch andere salafistische Prediger wie Pierre VOGEL oder Abul BARAA haben in der Vergangenheit Pilgerreisen dieses Anbieters beworben und begleitet. AL-AZZAZI hat also auch hier kein neues Agitationsfeld geschaffen, sondern die Ideen anderer kopiert.
AL-AZZAZIs Verhältnis zu anderen Predigern des deutschsprachigen salafistischen Spektrums ist offenbar neutral; es gibt weder erkennbare Rivalitäten noch Bündnisbestrebungen oder Solidarisierungstendenzen.
In seinen Kurzvideos sind inzwischen erste englischsprachige Frage-Antwort-Anteile aufgetaucht. Dies könnte möglicherweise ein Ansatz sein, um in Zukunft auch ein internationales Publikum anzusprechen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass AL-AZZAZI das gesamte salafistische Agitationsfeld bedient. Er verbreitet dabei eine literalistische salafistische Grundeinstellung, wonach es auf alle Fragen des Lebens eine vermeintlich einfache Antwort gibt. Kurze Antworten auf komplexe Fragen sollen der oft jungen Anhängerschaft eine Orientierung geben, wobei stets streng zwischen erlaubt („halal“) und verboten („haram“) unterschieden wird. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau lehnt er ebenso ab wie menschengemachte Gesetze.
Weiterführender Link
YouTube | Y-Kollektiv:
Salafistische Influencer auf TikTok: „Wir vertreten den richtigen
Islam!“
[Video, 33:44 Minuten]