Auslandsbezogener Extremismus

Ideologische Vordenker der „Ülkücü-Bewegung“
Teil 1: Hüseyin Nihal Atsiz

Hüseyin Nihal Atsiz gilt als einer der zentralen ideologischen Vordenker des türkischen Rechtsextremismus und hat noch heute einen nennenswerten Einfluss auf die „Ülkücü-Bewegung“ in Baden-Württemberg. Er wies antisemitische und rassistische Tendenzen auf und war geprägt durch ein klares Freund-Feind-Denken

1. Rechtsextremist und staatskritisch – das Leben von Atsiz

Atsiz wurde 1905 als Sohn eines Marineoffiziers in Istanbul geboren. Nach seinem Studium und Militärdienst war er als Lehrer, Autor und Publizist tätig. Aufgrund ihrer rechtsextremistischen und staatskritischen Inhalte wurden mehrere seiner publizierten Zeitschriften verboten. Im Jahr 1945 wurde Atsiz aufgrund des Vorwurfes der Putschplanung zu einer Haftstrafe verurteilt, jedoch frühzeitig begnadigt.  

1975 starb Atsiz in Istanbul. Rückblickend war er eine der kontroversesten Personen in der Geschichte der türkischen Republik. Im Gegensatz zu vielen anderen türkischen Politikern konnte Atsiz keinen materiellen oder beruflichen Erfolg durch seine aktive Rolle innerhalb der ultranationalistischen Szene in der Türkei erzielen. 

                        

2. Antisemit und Rassist – die ideologischen Überzeugungen von Atsiz

Die Ideologie von Atsiz war von zentralen Feindbildern geprägt. Damit ging ein Freund-Feind-Denken einher: Die Welt wurde von ihm in Gut und Böse eingeteilt, in ein „Wir“ gegen „die Anderen“.  

Seine zentralen Feindbilder skizzierte Atsiz in einem Artikel namens „Kommunist, Jude und Speichellecker“ in seiner Zeitschrift „Orhun“ aus dem Jahr 1934. Einerseits schreibt er in dem Text von den externen Feinden des türkischen Volkes, die in der ganzen Welt vorzufinden seien. Andererseits gäbe es drei interne Feinde: Kommunisten, Juden und Speichellecker. So seien Kommunisten „vaterlandslose Strolche“, die ihr „Gewissen an den Juden Marx verkauft“ hätten. Darüber hinaus seien Kommunisten in der Türkei „keine Türken“ sondern „Bastarde, die ihre eigentliche Nationalität verloren“ hätten.

Ein weiterer interner Feind sei der Jude, dessen Gott das Geld sei. Juden seien über ihre „entarteten jüdischen Linien in ihren Gesichtern“ zu erkennen, schreibt Atsiz. Der dritte Feind sei der „Speichellecker“, dabei handelt es sich laut Atsiz um regierungstreue Türken.  

Bereits durch die drei internen Feinde, die Atsiz beschreibt, wird sein antisemitisches Weltbild und grundsätzlicher Hass auf die besagten Gruppen deutlich. Der Antisemitismus wird durch weitere Veröffentlichungen von Atsiz unterstrichen, in denen es beispielsweise heißt: „Die als Jude bezeichnete Kreatur wird von niemandem auf dieser Welt gemocht“. So könnten Juden auch keine Türken werden, da das Türkentum ein Privileg sei, „das nicht jedem Menschen, schon gar nicht Menschen wie den Juden, zuteilwird“.[1]

So finden sich in den Werken von Atsiz zahlreiche Kommentare zu Juden. Er nutzt dafür eine Sprache, die dem globalen Antisemitismus entspricht: Für Atsiz sind die Juden ein Volk, das falsch, verlogen, feige, charakterlos, hinterhältig und niederträchtig ist. Er vergleicht die Juden sogar mit Schweinen, Hunden und Kakerlaken.  

Das Türkentum stellt einen weiteren zentralen Pfeiler in Atsiz‘ Weltbild dar. Dieses sei nach eigener Aussage der Begriff für den türkischen Nationalismus. Laut Atsiz ist der Turkismus „das Ideal von der uneingeschränkten, bedingungslosen Souveränität und Unabhängigkeit der türkischen Rasse in einem großtürkischen Vaterland und vom Türkentum, das allen anderen Völkern voraus und überlegen ist.“[2] 

Darüber hinaus sind rassistische Elemente in der Ideologie von Atsiz erkennbar, indem er beispielsweise behauptet, dass die Nationalität der Türken in erster Linie eine Frage des Blutes sei. Demnach könne nur Türke sein, wer türkischer Abstammung ist. Voraussetzung sei, „dass man die angeborenen körperlichen und seelischen Eigenschaften der türkischen Rasse“[3] geerbt habe.



3. Einfluss von Atsiz auf die „Ülkücü-Bewegung“ in Baden-Württemberg

Das ideologische Fundament von Extremisten lässt sich in jedem Phänomenbereich auf ideologische Vordenker zurückführen. Dadurch wird ein Interpretationsmonopol etabliert, in dessen Rahmen die Auslegung der Wirklichkeit häufig einer Führungs- bzw. Identifikationsfigur zukommt.  

Im türkischen Rechtsextremismus wird das Türkentum glorifiziert. Vordenker, die in der türkisch-rechtsextremistischen Szene bis heute verehrt werden, sind vor allem der Gründer der „Partei der Nationalistischen Bewegung“ („Milliyetci Hareket Partisi“, MHP), Alparslan Türkes, sowie eben Hüseyin Nihal Atsiz. Die Ideologie der „Ülkücü-Bewegung“ in Baden-Württemberg fußt auch Jahrzehnte nach dem Tod auf seinen Ausführungen, seine Theoreme und Motive sind bis heute prägend für das Selbstverständnis der „Ülkücüler“.  

So nutzen die Anhänger der „Ülkücü-Bewegung“ in Baden-Württemberg die Abbildungen und Zitate von Atsiz, um ihre politische Gesinnung darzulegen. Dabei sehen vor allem die Mitglieder des türkisch-rechtsextremistischen Dachverbandes „Föderation der Türkisch Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V.“ („Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu“, ADÜTDF) in Atsiz nach wie vor ein ideologisches Vorbild. Der Dachverband fungiert als inoffizielle Vertretung der rechtsextremistischen türkischen Partei MHP in Deutschland und verfügt in Baden-Württemberg über etwa 40 Ortsvereine.  

Seit vielen Jahren werden unterschiedliche Zitate oder Abbildungen von Atsiz durch die jeweiligen Ortsvereine verwendet, um die Zugehörigkeit zur „Ülkücü-Bewegung“ öffentlich darzustellen. So verbreitete ein Verein aus Rheinfelden (Landkreis Lörrach) im Jahr 2013 folgendes Zitat von Atsiz auf der eigenen Facebookseite:  

„Diejenigen, die nicht alle Türken zusammen sehen wollen, sind keine Türken“. 

Dieses Zitat kann als turanistische Äußerung gewertet werden. So streben türkische Rechtsextremisten die Schaffung des fiktiven Staates „Turan“ an, dem alle turksprachigen Völker angehören sollen - unter der Führung der Türkei. 




[1] Vgl. Atsiz: Das sollten die edlen Nachfahren von Moses wissen; in: Orhun Nr. 7, 1934.
[2]  Vgl. Atsiz: Turkismus; in: Orkun Nr 17, 1963 und Ötüken Nr 1, 1964.
[3] Vgl. Atsiz: Türkische Rasse, türkische Nation; in Orhun Nr. 9, 1934.

Auch der Göppinger Ortsverein der ADÜTDF verdeutlichte im Jahr 2019 seine Verehrung von Atsiz, indem er auf seiner Facebookseite dem antisemitischen Vordenker anlässlich seines Todestages gedachte: Veröffentlicht wurde ein Bild und der Spruch „Zum richtigen Zeitpunkt gab es einmal einen Atsiz. Er lebe hoch!“. 

Anlässlich des Geburtstags von Atsiz veröffentlichte der Nürtinger Ortsverein der ADÜTDF am 12. Januar 2021 ein Bild von ihm sowie einen Auszug aus Atsiz’ Gedicht „An die gesamte, türkische Jugend“ auf seiner Instagramseite.

Darüber hinaus sind sowohl auf privaten Accounts als auch auf gruppenbezogenen Profilen innerhalb der „Ülkücü-Szene“ zahlreiche positive Statements zu Atsiz vorzufinden.

 

4. Atsiz – Zentraler ideologischer Vordenker türkischer Rechtsextremisten

Zusammenfassend hatte Hüseyin Nihal Atsiz einen großen Einfluss auf die türkisch-rechtsextremistische Bewegung in der Türkei. Er glaubte an die Überlegenheit der türkischen Rasse – ein Element, das nach wie vor großen Anklang innerhalb der „Ülkücü-Bewegung“ findet, auch wenn inzwischen die Mehrheit türkischer Nationalisten von der türkisch-islamischen Synthese überzeugt ist. Der Turkismus von Atsiz gründete dagegen ausschließlich auf „Blut und Rasse“.  

Nach Einschätzung des LfV spielt Atsiz auch heute noch eine wichtige Rolle für die türkisch-rechtsextremistische Szene in Baden-Württemberg. Neben diversen Veröffentlichungen, die einen positiven Bezug zu ihm herstellen, sind auch Bilder bzw. Werke des ideologischen Vordenkers innerhalb entsprechender Vereinsräumlichkeiten in Baden-Württemberg ein Indikator für eine dort vorherrschende türkisch-rechtsextremistische Ideologie. 

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