ISLAMISMUS

Serie „Salafistische Netzwerke im Wandel“ |
Teil 9: Abu Mikail

Der in Baden-Württemberg ansässige Salafist Abu Mikail ist in ein weites transnationales Netzwerk eingebunden. Er investiert viel Zeit und Energie, um in internationalen islamistischen Bildungseinrichtungen zu lernen. Unter seinen Lehrern finden sich Namen von weltweit bekannten Akteuren der Szene. Der Schwerpunkt seiner Propagandaaktivitäten liegt jedoch in Deutschland, wo er verschiedene Projekte mit seiner Frau betreibt. Die Arbeit als Team mit der eigenen Ehefrau stellt wiederum ein Alleinstellungsmerkmal in der deutschen Salafismus-Szene dar.  

Abu Mikail wurde 1985 als Faruk KAMILOGLU im Schwarzwald geboren. Spätestens seit 2007 wandte er sich der salafistischen Ideologie zu. Bald darauf engagierte er sich selbst mit verschiedenen Projekten in der Szene: Er hat verschiedene Online-Auftritte etabliert, schreibt Bücher und tritt in Moscheen, wie zum Beispiel der Khaled-Ben-El-Walid-Moschee in Stuttgart, auf. Markant an seiner Mission ist die Einbindung seiner Ehefrau Umm Mikail: Viele Projekte führt er gemeinsam mit ihr durch. Er verfügt über einen Facebook-Account (über 10.500 Follower). Videos veröffentlicht er seit 2008 auf seinem YouTube-Kanal (über 35.000 Abonnenten). Die Abrufzahlen seiner Videos liegen im Durchschnitt im vierstelligen Bereich. Einzelne Produktionen wurden jedoch weitaus häufiger angesehen. Das Video mit der höchsten Zugriffszahl trägt den Titel „Muss die Frau in der Hochzeitsnacht bluten?“ (120.000 Aufrufe). In der Tat ist Abu Mikails Spezialgebiet der Bereich Ehe und Kindererziehung. Regelmäßig äußert er sich zu angrenzenden Fragen. Viele seiner Ratschläge und Botschaften erscheinen unverfänglich, mitunter sogar progressiv, wenn es zum Beispiel um die Haltung gegenüber Kindern und die Gleichberechtigung beim Geschlechtsverkehr geht.

Gleichwohl propagiert Abu Mikail den Islam doch als allumfassendes System. Das ist dann problematisch, wenn er für die intimsten Lebensfragen allgemeine Regeln bereithält: hierzu zählt das Verbot, seine Augenbrauen zu zupfen oder zu masturbieren. Manche Haltungen sind problematisch, weil ihr Befolgen mit einer verstärkten Abkehr von der deutschen Mehrheitsgesellschaft einhergeht: Als das Integrationsministerium in Nordrhein-Westfalen 2018 ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren anregte, empfahl Abu Mikail besorgten Eltern, sich über Home-Schooling-Modalitäten zu informieren. Seine salafistische Weltsicht zeigt sich zudem immer wieder in Aussagen, die sich um die Ablehnung von „shirk“ (Polytheismus) und „jahiliyya“ (religiöser Unwissenheit) drehen. Häufig finden sich Bezüge zu eschatologischen Vorstellungen in seiner Propaganda. So deutet er regelmäßig ein vermeintlich nahes Weltende an oder warnt vor der Hölle. Das dient primär dazu, Menschen entsprechend seiner Islamauslegung zu normieren: Angst aber auch Hoffnung können in diesem Zusammenhang den Handlungsdruck auf Seiten seiner Anhänger erhöhen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Selbstdarstellung als „Präventionsarbeiter gegen Extremismus und Radikalismus“ vermessen – wenngleich Abu Mikail Gewalt ablehnend gegenübersteht.

 Projektmanagement: Salafistische Bildung als Herzensangelegenheit

Abu Mikail gründete im Jahr 2008 „Miftahul Ilm“, nach seiner Aussage die erste Online-Arabisch-Sprachschule. Inzwischen bietet er über die gleichnamige Homepage verschiedene Kurse an: Koran (Leseunterricht), „tajweed“ (Koranrezitation), Video- und Live-Kurs, Lese- und Dialogkurs sowie Grammatikunterricht. Bis auf den Koran-Lesekurs sind alle Angebote gebührenpflichtig, Interessierte müssen bis zu 100 Euro pro Kurs zahlen. Mit einem Team von männlichen und weiblichen Lehrern bietet „Miftahul Ilm“ geschlechtersegregierten Unterricht an. Dabei rekrutieren Abu Mikail und Umm Mikail, die die Schule gemeinsam leiten, aus einem interessanten Pool an Lehrkräften. So wird damit geworben, dass die Lehrerinnen allesamt ehemalige Schülerinnen von Umm Mikail seien, „persönlich ausgebildet“. Bei den Lehrern wird ein gewisser Abu Marjaanah vorgestellt, der angeblich seit 2014 Student an der Islamischen Universität in Medina ist. Neben der personellen Verflechtung unter den Lehrern fällt auf der Homepage auch die Rubrik „Partner“ auf. Abu Mikail verweist darauf, dass „Miftahul Ilm“ eine offizielle Partnerschaft mit der „Iqra-Akademie“ eingegangen ist und begründet dies wie folgt: „In der heutigen Zeit der Schwäche dieser Ummah ist der Zusammenhalt für uns Muslime besonders wichtig. Es kommt nicht darauf an, ob ihr bei uns oder bei unserer Partnerseite lernt, sondern darauf, dass ihr die richtige Absicht dabei fasst.“

2017 gründete Abu Mikail mit seiner Frau „PlayMuslim“: Dabei handelt es sich um einen YouTube-Kanal, auf dem das Ehepaar selbstproduzierte Videos für Kinder bereitstellt. Nach eigener Auskunft, möchte er mit seinem Kanal „islamische Kinderfilme“ verbreiten und den Kindern im deutschsprachigen Raum so eine Alternative zu gängigen Zeichentrickserien bieten. Seit 2017 wurden die Videos insgesamt über 790.000 Mal aufgerufen. Aktuell verfügt der Kanal über 6.200 Abonnenten. Technisch ist die Produktion einfach gestaltet, es handelt sich nicht um eine Animation, sondern um tatsächliche Einzelbilder, die einige Sekunden zu sehen sind, bevor die Szenerie neu angeordnet erscheint. Eine Frau, ein Mann und verschiedene Kinder geben den Figuren ihre Stimmen – mutmaßlich sind hier Abu Mikail, seine Frau und seine Kinder selbst zu hören. Thematisch beschäftigen sich die Filme mit religiösen Aspekten wie dem Koranunterricht oder Ramadan, aber auch mit Berufen wie der Polizei und der Feuerwehr, zudem gibt es verschiedene Videos, in denen es um Raubüberfälle bzw. vermeintliche Diebstähle geht. 

Daneben verfolgt Abu Mikail mit seiner Frau weitere Projekte wie das „Hasanat-Institut“, das als „kostenlose Online-Islam-Akademie“ konzipiert ist, oder „MamiHerz“, eine Coaching- und Beratungsplattform rund um die Themen Schwangerschaft und Geburt. Gerahmt wird das eheliche Engagement von „UmmaMind“, einer „islamischen Plattform zur Persönlichkeitsentwicklung und Bewusstseinsveränderung im Diesseits und im Jenseits“. „PlayMuslim“, „Miftahul Ilm“, „Hasant-Institut“ und „MamiHerz“ werden als dazugehörige Projekte mit dem Ziel der „islamischen Identitätsbildung“ ausgewiesen. Laut eigenen Angaben will das Ehepaar mit diesem Engagement das Leben ihrer Anhänger und Anhängerinnen verändern. Für die Projekte arbeiten Abu und Umm Mikail mit einer in Florida / USA ansässigen Werbeagentur zusammen, die offenbar die entsprechenden Online-Auftritte gestaltet.

Transnationale Ausbildung: Zwischen Ägypten, Saudi-Arabien und Deutschland

Auffallend an Abu Mikails Selbstdarstellung ist der Verweis auf seine religiöse Ausbildung: Vor dem Hintergrund seiner eigenen Bildungsprojekte soll ihm diese Offenheit offenbar Glaubwürdigkeit bescheren. So gibt Abu Mikail an, sein religiöses Wissen zunächst von Hassan DABBAGH erhalten zu haben. 2009 entschied er sich offenbar für eine stärker institutionalisierte Bildung mit internationalem Charakter: Er ging nach Ägypten, um dort Arabisch, Koran- und Hadithwissenschaften zu studieren. Zwischen 2012 und 2018 folgte ein Bachelor-Studium an der American Open University, einer Fernuniversität mit Sitz in den USA, die Islamische Studien anbietet. Parallel dazu startete Abu Mikail im Jahr 2014 ein Studium an der „Islamacademy“, einer Fernuniversität mit Sitz in Saudi-Arabien. Unter den Lehrenden finden sich Namen von klassischen wahhabitischen Gelehrten wie Salih AL-FAWZAN. Daneben profitierte Abu Mikail, nach eigenen Angaben, von Unterrichtseinheiten anderer salafistischer Gelehrter wie Mustafa AL-ADAWI und Wahid Abdulsalam AL-BALI. Letzterer ist mit entsprechenden Übersetzungen auf dem salafistischen Buchmarkt in Deutschland vertreten. Darunter ist mit „Fiqh für Anfänger“ ein Werk zu finden, dass von der Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien (BpJM; inzwischen: BzKJ) indiziert wurde. Und schließlich folgten in den Jahren 2019, 2020 und 2021 Kurse am „Alkhautar-Institut“, einer salafistischen Online-Schule mit Sitz in Australien. 

Abu Mikail befindet sich damit seit über zehn Jahren in einem Ausbildungsprozess, für den er selbst viel Energie und Geld investiert hat. Dem gegenüber steht sein Engagement für andere Menschen, die sich mit dem Islam beschäftigen wollen: So sind seine Bücher mit Titeln wie „Grundlagen für Muslime“ und „40 leichte Hadithe“ im Eigenverlag herausgegeben und kostenlos erhältlich. Für die Finanzierung dieses Angebots bittet er regelmäßig um Spenden. Immer wieder ruft er auch zu Spenden für die „Tullabul Ilm“ (Schüler des Wissens) auf, um damit angeblich Gebühren für die Universität oder Bücher zu begleichen: „Wir kümmern uns darum das [sic!] bestimmte Studenten das bekommen und euer Lohn liegt bei Allah.“ Dabei bleibt unklar, welche Studenten (welcher Universitäten oder Schulen) er konkret unterstützt. 

IMAN: Intellektueller Anstrich mit Unterstützung aus Österreich

Abu Mikail nutzt diesen Bildungsnachweis auch für die Selbstdarstellung als vermeintlich intellektueller Salafist. In diesem Kontext ist wiederum die Kooperation mit der österreichischen Organisation „IMAN“ zu werten. Einer der „IMAN“-Verantwortlichen, Amir EL-SHAMY, hat mit Abu Mikail ein Interview geführt, das auf dem zur Organisation gehörenden YouTube-Kanal „IMAN TV“ veröffentlicht wurde.

Das Interview war Teil der Serie „IMAN Talk“, einer Art Talk-Show, in der ein Repräsentant von „IMAN“ mit einem Gast ins Gespräch kommt. Der entsprechende Beitrag wird als „Expertengespräch“ zwischen Amir EL-SHAMY und Abu Mikail zum Thema „Heirat, Ehe & Erziehung“ inszeniert. Entsprechend der Ausrichtung der Organisation „IMAN“ steht auch dieser Beitrag für den Versuch, die salafistische Weltsicht in einem scheinbar wissenschaftlichen Duktus zu präsentieren. So kommt EL-SHAMY im Verlauf des Gesprächs auf die Psychologie und psychologische Kommunikationsmethoden zu sprechen. Später bezieht er sich auf die Neurologie und führt einen Psychiater als Referenz an. Abu Mikail gibt an dieser Stelle an, mit diesem Psychiater in Fragen der Kindererziehung bereits E-Mail-Kontakt gehabt zu haben. Zudem verwenden beide zuweilen entsprechendes Fach-Vokabular wie zum Beispiel „Affirmation“. 

Über das „IMAN“-Netzwerk ist Abu Mikail wahrscheinlich mit dem in NRW ansässigen und in Groß-Britannien tätigen Stef KERIS in Kontakt gekommen. Einige Monate nach Abu Mikails Auftritt bei „IMAN-Talk“, wurde auch Stef KERIS eine Plattform in dieser Talkshow gegeben. In der Zeit danach fanden gemeinsame Veranstaltungen von KERIS und Abu Mikail statt. 

Fazit: Abu und Umm Mikail – ein salafistisches „Dreamteam“

Abu Mikail ist ein Akteur, der für eine Art „Salafismus-Light“ steht. Er tritt leise und besonnen auf und überrascht zuweilen mit vermeintlich progressiven Ansichten. Doch täuscht dies nicht über sein salafistisches Weltbild hinweg. Auch wenn Abu Mikail keinerlei Gewaltaffinität aufweist, so ist er dennoch kein geeigneter Akteur für Prävention gegen Extremismus. Das ist begründet in der grundsätzlichen Unvereinbarkeit der salafistischen Lehre mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Zudem kann das, was Abu Mikail predigt immer ein Einfallstor für eine fortschreitende Radikalisierung sein. 

Bei seinen Kontakten ist die Einbindung in ein transnationales Netzwerk – von den USA, über Saudi-Arabien bis nach Australien – auffällig. Begünstigt wird diese globale Ausrichtung durch die weit verbreiteten Online-Möglichkeiten: Abu Mikail bildet sich vielfach in Form von Fernunterricht weiter. Dabei erscheinen diese Kontakte als Propagandaeinbahnstraße: Denn auf internationaler Bühne scheint Abu Mikail selbst nicht als Akteur aktiv zu sein. Der Schwerpunkt seiner Aktivitäten liegt vielmehr in Deutschland. Die gemeinsamen Projekte mit seiner Frau, Umm Mikail, stellen hier ein salafistisches Alleinstellungsmerkmal dar. Es kommt selten vor, dass ein Paar gemeinsam die Öffentlichkeit sucht und als Team auftritt.

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