Islamismus

Serie „Salafistische Netzwerke im Wandel“ | Teil 6: Issam BENHAMED

Issam BENHAMED, der erst seit 2013 in der salafstischen Szene aktiv ist, zieht mit seiner „Da’wa“-Plattform „Al Estiqamah“ Aufmerksamkeit auf sich. Wenngleich seine Vortragreisen zeigen, dass er deutschlandweit ein gerngesehener Gast ist, waren seine Verbindungen zu anderen salafistischen Akteuren in der Vergangenheit zumeist unverbindlich. Seit einiger Zeit zeichnet sich jedoch eine intensivierte Beziehung zu Neil BIN RADHAN und dessen Netzwerk ab. 

Der 1987 in Tunesien geborene Issam BENHAMED alias Abu Abdallah kam mit 20 Jahren zum Studium nach Deutschland. Er lebte viele Jahre in Frankfurt am Main, 2020 zog er nach Heidelberg. In den ersten Jahren in Deutschland ist BENHAMED nicht als Islamist in Erscheinung getreten. Vieles spricht dafür, dass er sich erst hier radikalisiert hat. Spätestens seit 2013 ist er ein wichtiger überregionaler Akteur der salafistischen Szene. Das zeigen auch seine Vortragsreisen zum Beispiel nach Duisburg, Heppenheim, Moers, Fulda oder Offenbach.

„Al Estiqamah“: Ein ambitioniertes „Da’wa“-Projekt 

BENHAMED hat sein Leben der salafistischen Missionierung („Da’wa“) verschrieben. Das offenbart nicht zuletzt sein Projekt „Al Estiqamah“. Es verfügt über ein Facebook-Konto, einen YouTube- und einen Telegram-Kanal. In der Vergangenheit betrieb BENHAMED auch eine gleichnamige Webseite, die sich aktuell jedoch im Wartungsmodus befindet. Der arabische Begriff estiqamah bedeutet in etwa „Redlichkeit“, „Rechtschaffenheit“ oder auch „Aufrichtigkeit“. BENHAMED benutzt bei seinen Auftritten die Übersetzung „die Geradlinigkeit“. Er selbst charakterisiert das Projekt mit der Ergänzung „Ein Aufruf zum edlen Qur'an und zur authentischen Sunnah, nach der Methodik unserer frommen Vorfahren“. Bereits die Fokussierung auf die sogenannten as-salaf as-salih (fromme Altvordere) sowie auf Koran und Sunna als einzig legitime religiöse Quellen verweist auf einen salafistischen Bezugsrahmen. 

Die Inhalte seiner „Da’wa“-Plattform belegen die ideologische Ausrichtung einmal mehr. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, Werke von wahhabitischen und salafistischen Autoren ins Deutsche zu übertragen und zu kommentieren. Dazu zählen Schriften von Mohammed ibn Abd al-Wahhab, Ibn Taymiyya oder Muhammed Naser ad-Din al-Albani, Bestandteil jeder gut sortierten salafistischen Bibliothek sind. Sein Facebook-Profil und den Telegram-Kanal nutzt er auch, um salafistische Ge- und Verbote zu betonen. Grafiken weisen zum Beispiel auf die geforderte Geschlechtertrennung (Verbot des Handschlags zwischen Mann und Frau), die vermeintlich notwendige Abgrenzung von Nichtmuslimen (zum Beispiel durch entsprechende Kleidung) und die Ablehnung von Musik (gemeint ist Instrumentalmusik) hin. 

Auf seinem YouTube-Kanal (75.000 Aufrufe) finden sich über 150 Videos von Vorträgen, die BENHAMED zu verschiedenen Themen gehalten hat. In einem kritisiert er innermuslimische Kampfhandlungen. Dabei zitiert er ein Hadith, laut dem der Prophet gesagt haben soll: „Wenn zwei Muslime aufeinander losgehen, in dem sie ihre Schwerter aufeinander richten, dann kommen alle beide, der Mörder und der Ermordete, ins Höllenfeuer.“ Er spricht sich auch gegen den takfir aus (also die Praxis anderen Muslimen das Muslim-Sein abzusprechen), weil er diesen als Grundlage für innermuslimische Auseinandersetzungen ansieht. Zudem betont er in dem Video, dass auch der Kampf gegen Personen verboten sei, mit denen ein „Friedensvertrag“ bestehe: „Ich bin hier in diesem Land, es gibt Nichtmuslime, aber wir haben einen Friedensvertrag.“ Allerdings darf diese Aussage nicht darüber hinwegtäuschen, dass BENHAMEDs Ziel die Vorherrschaft des Islams ist – und nicht die friedvolle Koexistenz aller Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und Religion. So bittet er Allah auch am Ende einer Freitagspredigt darum, die Aqsa-Moschee in Jerusalem „von den Juden“ zu befreien und die Muslime siegreich sein zu lassen. 

„LIES!“: BENHAMEDs Auftakt in der salafistischen Szene

Neben seinem eigenen Projekt „Al Estiqamah“ war und ist BENHAMED auch in verschiedene salafistische Netzwerke eingebunden. Als Islamist trat er erstmals öffentlich im Kontext der „LIES!“-Koranverteilungen in Erscheinung; diese Beziehungen bestanden mindestens von 2013 bis 2015. „LIES!“ war eine Kampagne des Predigernetzwerks DWR („Die Wahre Religion“), das 2005 von Ibrahim ABOU-NAGIE gegründet wurde. Nachdem DWR die „Da’wa“ zunächst vor allem mittels Vorträgen vorantreiben wollte, änderte sich die Strategie ab 2011 zugunsten der „LIES!“-Kampagne: Im Zentrum der Aktivitäten standen nun Informationsstände im öffentlichen Raum und das Verteilen von Koran-Übersetzungen. 2016 verbot das Bundesministerium des Innern das Netzwerk DWR, weil es sich zu einem bedeutenden Rekrutierungs- und Sammelbecken für jihadistische Islamisten entwickelt hatte. 

Neil BIN RADHAN: Bruder im Geiste mit Sinn für Synergieeffekte

BENHAMED verließ DWR bereits vor dem Verbot und wandte sich Neil BIN RADHAN zu. Als dieser noch eine leitende Funktion im „Bilal Verein e. V.“ in Heilbronn innehatte, bot BENHAMED dort einige Male Veranstaltungen an. Nachdem BIN RADHAN den Vorsitz im „Verein für Muslime in Heidelberg e. V.“ (VMH) übernahm, verlegte auch BENHAMED seine Veranstaltungen nach Heidelberg. Die intensiven Beziehungen zu BIN RADHAN und dem VMH kulminierten 2020 darin, dass BENHAMED seinen Wohnsitz gänzlich nach Heidelberg verlegte und sich im Umfeld von BIN RADHAN niederließ. Zudem gehört BENHAMED dem „Ausschuss für Mondsichtung – Deutschland“ an. Darin wirken auch andere überregional bedeutende salafistische Akteure wie Ahmad ABUL BARAA und Muhammad CIFTCI mit, Sprecher ist BIN RADHAN. 

Über ihn pflegt BENHAMED auch Beziehungen zu Ibrahim FATHY EID und dem „Islamischen Zentrum Stuttgart e. V.“ (IZS), wo er 2018/2019 eine Vortragsreihe gehalten hat. Wenngleich BIN RADHAN in Heidelberg die alleine Vormachtstellung für sich beansprucht, gibt er BENHAMED immer wieder neue Möglichkeiten zur Selbstdarstellung. Ideologisch scheint es sich um Brüder im Geiste zu handeln – die sich von der professionellen Zusammenarbeit Synergieeffekte erhoffen. 

Fazit: Von losen Verbindungen zur festen Anbindung ohne Selbstaufgabe

Issam BENHAMED ist erst seit einigen Jahren in der salafistischen Szene aktiv. Seinen Einfluss sollte man jedoch nicht unterschätzen: Er ist online sehr stark aufgestellt und hat seine Missionierungsbestrebungen professionalisiert. Seine Vortragsreisen in die unterschiedlichsten Bundesländer zeigen, dass er viele lose Beziehungen pflegt und ein durchaus gerngesehener Gast ist. Nach einem Intermezzo bei DWR sind seit einigen Jahren enge Verbindungen zu BIN RADHAN und dessen facettenreichem salafistischem Netzwerk zu beobachten. Mit seinem Umzug nach Heidelberg 2020 scheint BENHAMED nun gänzlich in diesem Netzwerk angekommen zu sein, ohne jedoch sich und sein eigenes Projekt aufzugeben. 

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