RECHTSEXTREMISMUS

„Identitäre Bewegung“ beteiligt sich am Corona-Protestgeschehen — trotz strategischer Vorbehalte

Die „Identitäre Bewegung (IB) beteiligt sich in Baden-Württemberg regelmäßig an Demonstrationen gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen. Aus Sicht der IB-Führung birgt diese Beteiligung allerdings strategische Fallstricke: Man dürfe dabei das eigene Hauptanliegen nicht aus den Augen verlieren: die Warnung vor einem angeblichen „Bevölkerungsaustausch“

Seit Ende 2021 werben Teile der IB in Baden-Württemberg vermehrt für die Teilnahme an Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Anhänger der IB nehmen auch an solchen Veranstaltungen teil, meldeten nach aktuellem Kenntnisstand aber keine entsprechenden Demonstrationen selbst an. Allerdings ist es IB-Aktivisten bereits mehrmals gelungen, sich mit ihrem Banner an die Spitze eines Demonstrationszuges zu setzen – beispielsweise in Pforzheim.

An der Wahl ihrer Slogans zeigt sich die Orientierung der baden-württembergischen IB-Aktivisten an Gleichgesinnten aus Österreich: So präsentierte die IB-Gruppe „Pforzheim_Revolte“ jeweils ein Banner mit den Aufschriften „Uns kriegt ihr nie!“ und „An uns bricht eure Nadel“. Beide Schriftzüge waren zuvor bereits auf Demonstrationen in Österreich zu lesen gewesen. 

Strategische Vorbehalte

Innerhalb der IB wird die eigene Rolle im Zusammenhang mit den Demonstrationen auf strategischer Ebene gleichwohl diskutiert: So brachte das Sprachrohr der deutschsprachigen IB, Martin SELLNER, am 27. Januar 2022 in einem Artikel auf der Homepage „sezession.de“ seine ambivalente Haltung zur Beteiligung an den Demonstrationen zum Ausdruck. Er argumentierte, dass die Gegnerschaft zu den Corona-Maßnahmen nicht das eigentliche Ziel, nämlich die Propagierung eines angeblichen „Bevölkerungsaustausches“, überlagern sollte. Im Rahmen der Demonstrationen würden auch esoterische oder libertäre Positionen geäußert, von denen sich das „patriotische Lager“ klar abgrenzen müsse. Aus seiner Sicht müsse das Thema des „Großen Austausches“ wieder zum Dreh- und Angelpunkt der IB werden, so SELLNER weiter.  

Auch behauptet der 33-Jährige in dem Artikel, dass ein Abrücken der „Rechten“ vom Hauptthema Migration ein „dialektischer Trick“ der politischen Gegner sein könnte. Ungeachtet dessen hält er es für förderlich, wenn anhand des Corona-Themas das Vertrauen in die Demokratie bei Teilen der Gesellschaft verloren geht. Mit diesem Potential könne man wiederum für die eigene Sache arbeiten. Entsprechend ambivalent bleibt seine Handlungsempfehlung in Bezug auf die Demonstrationen: 

„Die Losung für alle Rechten lautet also nach wie vor: Geht auf die Straße, unterstützt den Coronawiderstand und fördert die Proteste, ohne sie zu mißbrauchen oder zu vereinnahmen. Das Protestpotential kann und soll wachsen. Es kann von rechter Seite derzeit jedoch nur gehegt und gefördert, aber nicht geführt und vertreten werden.“ 

Bewertung

An SELLNERs Handlungsempfehlung ist interessant, dass er explizit keine Vereinnahmung der Proteste mehr fordert. Das kann sowohl als langfristige Strategie gelesen werden, aber auch als Versuch, den Umstand umzudeuten, dass eine solche Vereinnahmung bislang schlichtweg noch nicht gelungen ist.
Sellners aktuell propagierte Zurückhaltung spiegelt sich nicht unbedingt in den Aktivitäten der IB in Baden-Württemberg wider, die sich rege an Protest-Veranstaltungen beteiligt. Dies kann mit einer wachsenden Eigenständigkeit regionaler IB-Gruppierungen erklärt werden, vor allem, seitdem die IB aufgrund eines Strategiewechsels weniger stark hierarchisch organisiert ist. 

Zu erwarten ist in der Zusammenschau, dass die IB weiterhin versuchen wird, gezielt migrationskritische bis -feindliche Inhalte in das Corona-Protestgeschehen einzubringen. Beispiele dafür waren Slogans wie „Heimatschutz statt Mundschutz“ oder „Kontrolliert die Grenze – nicht euer Volk“.

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