Islamismus

Serie „Salafistische Netzwerke im Wandel“ | Teil 5: Ibrahim FATHY EID

Ibrahim FATHY EID engagiert sich seit 50 Jahren für die „Da’wa“. 2004 verließ er sein Heimatland Ägypten und verlegte seinen Wohn- und Arbeitsort nach Deutschland. In Frankfurt am Main schloss er sich zunächst Einrichtungen an, die der „Muslimbruderschaft“ (MB) zugerechnet werden. Wenig später fasste er jedoch verstärkt Fuß in der salafistischen Szene. Rückblickend ist dies als ein schleichender und langer Prozess zu bewerten, der von entsprechend ambivalenten Kooperationen begleitet wurde. Das zeigt nicht zuletzt die Entwicklung des „Islamischen Zentrums Stuttgart e. V.“ (IZS), wo EID seit 2008 Imam ist. 

FATHY EID, geboren 1951 in Bani Suweif/Ägypten, einem Ort am Nil über 100 Kilometer südlich von Kairo, ist ein zentraler Akteur der salafistischen Szene in Baden-Württemberg. Er ist Imam im „Islamischen Zentrum Stuttgart e. V.“ (IZS), wo er ein elitäres Netzwerk mit anderen Gelehrten pflegt und zugleich eine hierarchisch geprägte Distanz zu den Moscheebesuchern der Moschee hält. Mit einem eigenen Facebook-Account und mehreren YouTube-Kanälen nutzt er auch die Online-Sphäre zur Verbreitung der salafistischen Ideologie. Auf Facebook hat er über 2.000 Abonnenten. Seine Predigten auf dem YouTube-Kanal „Fostat TV“, die von einem markant emotionalen Stil geprägt sind, wurden seit 2012 insgesamt 66.000-mal aufgerufen. Einzelne Videos erreichen Klickzahlen im niedrigen dreistelligen Bereich. Der Kanal „ash-Sheikh Fathy Eid“ besteht seit 2018, verfügt über etwa 200 Abonnenten und die dort hochgeladenen Videos verzeichnen bislang 10.000 Aufrufe. 

Bereits in jungen Jahren widmete sich FATHY EID der Religion. Ende der 1960er Jahre schrieb er sich an der Azhar-Universität in Kairo ein, der größten theologischen Lehreinrichtung im Nahen Osten, und erlangte dort 1977 einen Abschluss an der Fakultät für Scharia. Nach seinem Studium blieb er an der Azhar-Universität, er war in der Lehre tätig und gehörte dem Aufsichtsrat an. Laut eigenen Angaben schickte ihn die Universität später nach Mogadischu/Somalia, um dort eine Fakultät für „Islamische Wissenschaften“ aufzubauen. 

Die Azhar-Universität gilt als Zentrum für traditionalistische Gelehrsamkeit: Sie steht der Moderne kritisch gegenüber und orientiert sich an einer bestimmten Praxis, die als Tradition angesehen wird. Dieser Ansatz versteht den Islam nicht unbedingt als politisch-religiöse Idee. Dennoch findet sich unter den Azhar-Absolventen eine Reihe islamistischer Exponenten, darunter auch FATHY EID. Rückblickend ist jedoch kaum festzustellen, wann er begann, sich von der Azhar-Tradition zu distanzieren und einer islamistischen Islamauslegung zuzuwenden. 

Frankfurt: EIDs Ankunft in Deutschland und die „Muslimbruderschaft“ 

Als FATHY EID 2004 nach Deutschland kam, bewegte er sich bereits in islamistischen Kreisen. Laut eigenen Angaben verließ er Ägypten, weil ihn Verantwortliche des „Islamischen Zentrums Frankfurt e. V.“ (IZF) eingeladen hatten, in ihrer Einrichtung tätig zu werden. Das IZF wiederum ist der „Deutschen Muslimischen Gemeinschaft e. V.“ (DMG) zuzurechnen, die in Deutschland die Interessen der „Muslimbruderschaft“ vorantreibt. In Frankfurt trat FATHY EID auch dem „Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland“ (RIGD) bei. Der 2000 gegründete Verein ist der DMG zuzurechnen und strebt danach, als wissenschaftliche Autorität und Ansprechpartner für Muslime in Deutschland wahrgenommen zu werden. FATHY EID war zwischenzeitlich Vorsitzender des RIGD. 

Wenngleich für die ersten Jahre seines Aufenthalts in Deutschland offensichtlich sehr enge Beziehungen zu hiesigen MB-Vertretern bestanden, sind auch Bezüge in das salafistische Spektrum nachweisbar. Auf der salafistischen Webseite „islamway.net“ finden sich auch heute noch Predigten von FATHY EID, die in den Jahren 2004 und 2005 hochgeladen wurden. Bei der Webseite handelt es sich um ein salafistisches „Da’wa“-Projekt, das Videos, Fatwas (Rechtsgutachten) und Abhandlungen in verschiedenen Sprachen veröffentlicht. In dem Bereich mit Material in deutscher Sprache finden sich aktuell vor allem Videos von Pierre VOGEL. FATHY EIDs Predigten sind hingegen auf Arabisch veröffentlicht – in der Sprache, in der er auch heute noch alle Veranstaltungen durchführt. Unter seinen dort gelisteten Predigten finden sich Titel wie „Die Unantastbarkeit des Blutes der Muslime“, „Die Feinde“ oder „Der Jihad“. In einer Predigt mit dem Titel „Das Verbrechen der zina“ bezeichnet FATHY EID Menschen, die zina (außerehelichen Geschlechtsverkehr) vollziehen, als „Vieh“ und äußert sich dahingehend, dass sie mit Peitschenhieben oder dem Tode bestraft werden sollen. 

Stuttgart: Salafisierung des IZS

Diese ideologische und organisatorische Ambivalenz setzte sich in Stuttgart fort, wohin er im Jahr 2008 zog. Hier nahm er die Tätigkeit als Imam am IZS auf. Wie das IZF war auch das IZS lange Zeit ein Objekt der MB; ursprünglich gehörte es zur „Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e. V.“ (IGD, 2018 unbenannt in DMG). Ab 2006 lief das IZS nur noch als Kooperationspartner der IGD. Das zeigt, dass die Einrichtung bereits damals nach einer gewissen Eigenständigkeit strebte. 

Retrospektiv ist festzustellen, dass sich das IZS seit dem Einstand von FATHY EID schleichend salafisiert hat. Allerdings bestanden noch jahrelang enge Kontakte zu Einrichtungen und Vertretern der IGD. So sprach FATHY EID im Jahr 2011 bei der Jahreskonferenz der IGD in Stuttgart. 2012 war der Leiter des „Islamischen Zentrums München e. V.“ (IZM), Ahmad AL-KHALIFA, zu einem Vortrag im IZS geladen. Wie seine Pendants in Frankfurt am Main und Stuttgart versucht auch das IZM, die Interessen der „Muslimbruderschaft“ in Deutschland voranzutreiben: 1973 wurde es als Sitz der IGD gegründet. Punktuelle Bezüge ins MB-Spektrum bestehen nach wie vor. So erhalten seine Vertreter gelegentlich Raum zur Selbstdarstellung im IZS – und sei es nur durch die Möglichkeit, Flyer einschlägiger Organisation in den Räumlichkeiten der Moschee auszulegen. 

FATHY EIDs Auftritte weisen klassische Charakteristika der salafistischen Lehre auf. So ist eine starke Orientierung an den „frommen Altvorderen“ (as-salaf as-salih) und eine Glorifizierung der islamischen Frühzeit zu beobachten. In seinen Predigten macht er zudem seine Ablehnung der bid’a deutlich; unter diesem arabischen Begriff verstehen Salafisten „unerlaubte Neuerungen“ der islamischen Praxis. Der Absolutheitsanspruch, den FATHY EID für seine Islamauslegung erhebt, zeigt sich auch in seinen Höllenandrohungen: Diese adressiert er an all jene, die sich nicht an das halten, was er predigt. Seine Auftritte sind zudem gespickt mit Abgrenzungsversuchen von den „kuffar“ (Ungläubigen). Ein beliebter Topos sind darüber hinaus die „munafiqun“ (Heuchler), worunter er Muslime versteht, die den Islam nur vordergründig leben. Zwar positioniert er sich immer wieder explizit gegen die takfir-Praxis, also das Prinzip, anderen Muslimen das Muslim-Sein abzusprechen. Dennoch tut er mit seinen Ausführungen implizit genau das mit den angeblichen „Heuchlern“. Nicht zuletzt ruft er immer wieder dazu auf, sich nur mit seinesgleichen zu umgeben: Wenn er betont, dass ein Frommer (salih) sich nicht mit einem verdorbenen (fasid) Mann abgeben soll, ist das als Ausdruck der Doktrin al-wala’ wa-l-bara’ („Loyalität und Lossagung“) zu werten.

HRGID: Der salafistische Abgrenzungsversuch zur MB

Seine salafistischen „Da’wa“-Bestrebungen betonte FATHY EID 2010 mit der Gründung des „Hohen Rates der Gelehrten und Imame in Deutschland e. V.“ (HRGID). Der Zusammenschluss, der sich als „islamisch, wissenschaftlicher Verein“ präsentierte, verfolgte vor allem zwei Ziele: Auf der einen Seite strebte er danach Imame auszubilden, auf der anderen Seite wollte er als Fatwa-Institution für Muslime in Deutschland wahrgenommen werden. Die Zielsetzung verdeutlicht, dass der HRIGD als Konkurrenz zum RIGD gegründet wurde. FATHY EID und seine Mitstreiter gerierten sich im Kampf um die Deutungshoheit offensichtlich als Alternative zu den Vertretern der MB in Deutschland. Als HRGID-Vorsitzender nahm FATHY EID dabei eine zentrale Rolle ein. 

Auch nach der Selbstauflösung des HRGID 2015 wirkte das Netzwerk nach. Das zeigt sich an andauernden Kooperationen mit damaligen Mitstreitern. Der in Ludwigshafen ansässige Amen DALI, der damals ebenfalls im Vorstand war, ist zum Beispiel immer wieder Gast im IZS. In der Vergangenheit hat er dort sogar ganze Vortragsreihen durchgeführt. Das Gleiche gilt für Neil BIN RADHAN, zu dem FATHY EID nach wie vor enge Beziehungen pflegt. In dessen „Darulkitab-Verlagshaus“ sind drei Bücher von ihm erschienen. Über BIN RADHAN kam darüber hinaus 2018 und 2019 der in Heidelberg ansässige Issam BENHAMED für Vortragsveranstaltungen ins IZS. Dass BIN RADHAN 2020 gemeinsam mit einem anderen salafistischen Akteur die Trauerveranstaltung für FATHY EIDs Frau geleitet hat, zeugt von den besonders engen Banden beider Akteure. 

Saarland: Das Lehrer-Schüler-Verhältnis

Ein enges Verhältnis pflegt FATHY EID zudem zu Sayed Abdelaty ELIWA, dem Imam der Masjed as-Sunna in Sulzbach/Saarland. Die Verbindungen bestehen mindestens seit 2010 und sind als Schüler-Lehrer-Verhältnis zu bewerten: FATHY EID nimmt für den 1969 geborenen ELIWA die Rolle des Mentors ein. Auffallend ist dabei, dass beide aus Ägypten stammen und an der Azhar-Universität studiert haben. Auch privat pflegen sie eine enge Beziehung: So war es FATHY EID, der die Trauerveranstaltung für ELIWAs 2019 verstorbenen Vater leitete. 

FATHY EID zwischen Europa und der Arabischen Halbinsel: transnationaler Aspekt seiner „Da’wa“-Tätigkeit

Neben den zahlreichen regionalen Kontakten lässt sich bei FATHY EID auch eine transnationale Vernetzung feststellen. Immer wieder lädt er internationale Vertreter der salafistischen Szene nach Stuttgart ein. Eine wichtige Bühne ist dabei die Jahresveranstaltung des IZS, die immer zum Jahreswechsel stattfindet. Regelmäßig finden sich auch salafistische Akteure aus dem Ausland unter den Referenten. Bei der Jahreskonferenz Ende 2013 konnten die Besucher zum Beispiel Othman KHAMIS und Abdel Aziz SADHAN zuhören. SADHAN ist ein Gelehrter aus Saudi-Arabien. Der kuwaitische Gelehrte KHAMIS engagiert sich in seinem Heimatland bei der „Revival of Islamic Heritage Society“ („Gesellschaft zur Wiederbelebung des islamischen Erbes“, RIHS): Diese Missionierungsbewegung strebt danach, ihre Islamauslegung global zu verbreiten. 2015 und 2016 war zudem der aus Ägypten stammende und in Katar ansässige Salafist Nash’at AHMAD Gastredner.

Auf der anderen Seite reist auch FATHY EID ins Ausland. Enge Verbindungen pflegt er zur Sunna-Moschee in Reus/Spanien, dort war er zwischen 2016 und 2019 mindestens viermal zu Gast. Er hielt Vorträge bei Veranstaltungen zu Themen wie „Die muslimische Familie: Probleme und Lösungen“, „Die Moschee und ihre Rolle bei der Erbauung der Gesellschaft“, „Die Botschaft des Islams zwischen Barmherzigkeit und Frieden“ und „Die Kindererziehung und aktuelle Herausforderungen“. 

Fazit: Von der Azhar über die MB zum Salafismus?

Mit Blick auf FATHY EIDs Aktivitäten fallen vor allem seine ideologische Entwicklung sowie die persönlichen Kontakte auf. Er ist sehr stark vernetzt und strebt zugleich nach Führungsfunktionen. Darüber hinaus ist sein elitäres Netzwerk von ausgeprägten Kontinuitäten gekennzeichnet: FATHY EID umgibt sich seit Jahren mit denselben salafistischen Exponenten, die zudem als Türöffner für weitere Kooperationen fungieren. Schließlich ist ebenso von Bedeutung, dass er sich zu den Besuchern im IZS eher distanziert verhält. 

In Hinblick auf seine ideologische Entwicklung bleiben Fragezeichen: Tatsächlich wird die Abfolge von der Azhar über die MB zum Salafismus weitaus komplexer gewesen sein als hier dargestellt. Wann und wie sich FATHY EID radikalisiert hat, ist bis heute kaum nachzuvollziehen. Möglich ist darüber hinaus, dass er bereits vor seiner Ankunft in Deutschland ein Vertreter der salafistischen Ideologie war – und sein Anschluss an hiesige MB-Objekte lediglich pragmatische Gründe hatte. 

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