Das Musikangebot ist im Gegensatz zu den Anfangsjahren besonders breit gefächert: Neben der an sich nicht rechtsextremistischen Volksmusik und Volksliedern, die jedoch in Teilen der Szene gerne gehört werden, und dem in der Szene durchaus immer noch populären Rechtsrock gibt es auch weitere Genres wie szeneeigenen Techno oder Dark Wave, National Socialist Black Metal, National Socialist Hatecore sowie NS-Rap und -Hip-Hop.
1. Zeitliche Entwicklung der Skinheadmusik
Die jugendliche Subkultur der Skinheads wird samt ihren äußerlichen Attributen von einer breiten Öffentlichkeit bis heute
immer wieder als vermeintlich „typisch“ und ihre Vertreter als Symbolfiguren für den Rechtsextremismus wahrgenommen. Bei
ihren Anhängern handelte es sich jedoch noch nie ausschließlich um Rechtsextremisten: Es gibt ebenso linksorientierte,
linksextremistische, aber auch un- bis antipolitische Skinheads. Außerdem unterliegt die Skinheadsubkultur bereits seit Jahren einem
Erosionsprozess, der Zweifel daran weckt, ob ihr – und darunter auch der rechtsextremistischen Skinheadszene – noch eine
langfristige Zukunft beschieden sein wird. Die Entwicklung der rechtsextremistischen Musikszene ist unmittelbar mit dieser Subkultur
verbunden [Vgl. Walter Jung, Juliane Stutter, Organisatorische Einbindung, Ideologie, Biographie, Gewaltbezug, Wirkung. Das OIBGW-Schema
zur Analyse extremistischer Einzelpersonen, in: Armin Pfahl-Traughber (Hrsg.), Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung
2017/18 (I), Brühl/Rheinland 2018, S. 33–83, hier S. 48]. Nahezu unbemerkt feierte die Skinhead-Subkultur im Jahr 2019 ihr
50-jähriges Bestehen. Ihren Anfang nahm sie 1969 in den Arbeitervierteln des Londoner East Ends; sie ist damit keine kurzlebige
Erscheinung. An der schon immer vorhandenen Rigidität und Gewaltakzeptanz hat sich bis heute kaum etwas geändert. Seit ihren
Anfängen definierten sich die Skinheads als männerdominierte Bewegung [Christian Menhorn, Skinheads: Portrait einer Subkultur,
Baden-Baden 2001, S. 22].
In den 1970er Jahren etablierte sich die „Oi!“-Musik. Im East-End-Slang bedeutet „Oi!“ so viel wie
„Hey!“, wobei das Ausrufezeichen für einen aggressiven, rauen Unterton steht. Der Ausruf wurde zum Oberbegriff für
die gesamte Bewegung; eine Deutung ist, dass Bands begannen, Lieder nicht mehr mit dem üblichen „One, two, three“
anzuzählen, sondern mit „Oi, oi, oi!“. Da die Skinheads bei weitem den stärksten Teil der „Oi!-Bewegung“
ausmachten, wurde „Oi!“ nach deren Auseinanderfallen zum Synonym für Skinhead-Rock insgesamt. [Christian Menhorn,
Skinheads: Portrait einer Subkultur, Baden-Baden 2001, S. 22 [Ebd., S. 44]. Auch deutsche Bands aus der Szene greifen seither gerne diese
prägnante Buchstabenkombination für Bandnamen oder Liedtitel auf, beispielsweise die Bands „Noie Werte“ aus
Baden-Württemberg. „Oidoxie“ aus Nordrhein-Westfalen, „Volkstroi“ aus Brandenburg und „Kroizfoier“
aus Sachsen oder Liedtitel wie „Doitschtum“ (von „Brutale Haie“ aus Thüringen).
Im Jahr 1987 wurde die autonome Organisation „Blood & Honour“ in Großbritannien gegründet. Sie sollte für
den rechtsextremistischen Teil der Skinheadszene eine organisatorische Basis schaffen, den Zusammenhalt durch Konzerte stärken und
über die Musik die Ideologie multiplizieren. Die Einkünfte der Bands sollten in einen gemeinsamen Topf fließen, aus dem dann
die Kosten für Konzerte und die Ausstattung der Bands bezahlt werden sollten. Im selben Jahr entstand als Organ von „Blood &
Honour“ das gleichnamige Magazin. Es besteht bis heute, erscheint vierteljährlich in einer Auflage von einigen tausend
Exemplaren weltweit und berichtet hauptsächlich über die nationalistische und neonazistische Skinhead-Musikszene. Diese
Publikation war ein wesentlicher Schritt in Richtung Autonomie, nachdem die Skinheadszene jahrelang ohne eigene Informationsstruktur
existiert hatte. Mit dem Magazin schuf sich die Organisation eine Möglichkeit, über rechtsextremistische Bands zu berichten,
einschlägige Szene-News zu verbreiten und ihre Anhänger zu beeinflussen. Der Erfolg der britischen Organisation wurde zu Beginn
der 1990er Jahre auch in anderen Ländern zum Anlass genommen, um „Blood-&-Honour“-Divisionen zu gründen. Heute
existieren derartige Ableger nahezu auf jedem Kontinent [Ebd., S. 78 f.].
Mit Skinheads, die den britischen Truppen in der Bundesrepublik angehörten, kam der Kult gegen Ende der 1970er Jahre auch nach
Deutschland. Damals war die „Oi!-Bewegung“ in Großbritannien gerade auf ihrem Höhepunkt angelangt. Zuerst etablierte
sich die Skinheadszene im Norden und Westen Deutschlands, meist in Städten mit britischen Garnisonen. Die deutschen Skins orientierten
sich zu dieser Zeit sehr an Großbritannien. Dort gab es Dutzende von Bands, in Deutschland dagegen mussten die Bands zunächst auf
regionaler Ebene bekannt werden. Dennoch gewannen sie in der schnell wachsenden deutschen Skinhead-Bewegung Anfang der 1980er Jahre auch
Fans in ganz Deutschland. Gespielt wurde in Szenekneipen oder kleineren Hallen vor meist überschaubarem Publikum. Erst Mitte des
Jahrzehnts war die deutsche Skinheadszene in der Lage, größere Konzerte mit mehreren Musikgruppen und besserer Organisation zu
veranstalten [Christoph Mengert, Unsere Texte sind deutsch ..., Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung 1994, S.
63].
2. Rechtsextremistische Musikszene in Baden-Württemberg
Die Anfänge der rechtsextremistischen Skinheadszene und insbesondere der Musikszene in Baden-Württemberg lassen sich bis in die
1990er Jahre zurückverfolgen. Bis etwa ins Jahr 2006 erlebte die Szene einen Boom; mit einer hohen Zahl an Konzerten und Besuchern
fiel dieser in Baden-Württemberg noch deutlicher aus als im bundesweiten Vergleich [Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg
2005, S. 121 ff]. Danach setzte ein Abwärtstrend ein, und die Zahlen sanken, was auch im restlichen Bundesgebiet zu beobachten war.
Die Anzahl der Bands ist in den letzten Jahren leicht rückläufig. Im Jahr 2019 bestanden in Baden-Württemberg fünf
rechtsextremistische Skinheadbands. Zwei weitere sind nicht eindeutig geografisch zuzuordnen, da die Mitglieder aus mehreren
Bundesländern kommen.
2.1 Aktive Bands
„Act of Violence“ aus dem Großraum Ulm wurde laut eigenen Angaben im November 2002 gegründet. Die
Band hat sich durch zahlreiche Auftritte einen gewissen Bekanntheitsgrad erspielt. Zudem bietet sie einige Merchandising-Artikel sowie
mehrere Editionen ihrer CDs an, was auf eine große Abnehmerschaft schließen lässt.
„GERMANIUM“ ist eine sehr erfolgreiche rechtsextremistische Band. Die Band hat sich mit ihrem schnellen Erfolg und nicht
zuletzt durch ihren professionellen Auftritt mit Logo und Merchandising-Artikeln als feste Größe in der rechtsextremistischen
Musikszene etabliert.
Die Band „Kommando 192“ aus dem Raum Pforzheim bezeichnet sich selbst als RAC’N’Roll-Band [RAC steht für
„Rock Against Communism”, einen rocklastigen rechtsextremistischen Musikstil]. Ihr Name „192“ ist ein Zahlencode,
die Zahlen stehen für die Buchstaben A, I und B – „Adolf is back“. Die Bekanntheit der Band hat im Laufe der letzten
Jahre zugenommen.
„Kommando Skin“ aus dem Raum Stuttgart besteht nach eigenen Angaben seit 1996. Die Band ruft in ihren Liedern
offen zu Hass und bewaffnetem Kampf auf. Sie gibt regelmäßig Konzerte und hat bereits mehrere CDs und Alben veröffentlicht,
darunter 2014 die später indizierte CD „Bis der Letzte mit uns singt“.
„Carpe Diem“ hat ihren Sitz im Großraum Stuttgart/Ostalbkreis und besteht mit längerer Unterbrechung
seit 1999. Seit 2009 ist sie außerdem am Bandprojekt „I.C.1“ beteiligt und spielt auch immer wieder unter diesem Namen.
„Carpe Diem“ tritt seit vielen Jahren im In- und Ausland auf.
2.2 Vertriebe und Musiklabels in Baden-Württemberg
Als ein Vertriebsunternehmen mit rechtsextremistischer Musik und Bekleidung ist der „Nervengas Versand“ aus dem Raum
Tübingen bekannt. Ein Szene-Vertrieb bietet hauptsächlich rechtsextremistische Musik, Textilien und weitere
Szeneartikel im Online-Versand an. Musiklabels produzieren rechtsextremistische Tonträger und handeln mit Nutzungsrechten. Sie sind
oftmals den größeren Vertrieben angeschlossen. In Baden-Württemberg sind das „Freiheit Sound Records“ aus
Eppingen sowie „FreiVolk Records“ und „Asatru Versand“ aus dem Raum
Tübingen.
2.3 Konzerte in Baden-Württemberg
Im Bundesvergleich finden in Baden-Württemberg, speziell mit Blick auf die Bevölkerungszahl, relativ wenige rechtsextremistische
Konzerte statt. Darum reisen rechtsextremistische Musikfans aus Baden-Württemberg regelmäßig zu Veranstaltungen im ganzen
Bundesgebiet, häufig in kleineren Gruppen. Auch Bands nutzen Auftritte in den anderen Bundesländern, um sich einen höheren
Bekanntheitsgrad zu verschaffen und ihre Fanartikel zu verkaufen.
An Konzerten in Baden-Württemberg beteiligen sich immer wieder Bands aus anderen Bundesländern und dem Ausland. So spielte hier
2019 mehrmals die bayerische Band „Kodex Frei“.
Die Besucheranzahl der Konzerte war in den letzten Jahren leicht rückläufig: 2019 fanden landesweit drei Konzerte mit
durchschnittlich 110 Besuchern statt, 2018 waren es noch fünf Konzerte mit durchschnittlich 120 Besuchern und 2017 ebenfalls drei
Veranstaltungen mit durchschnittlich 150 Teilnehmern.
Auch bei den Konzertveranstaltungen insgesamt ist ein Rückgang erkennbar, so gab es allein in Baden-Württemberg zwischen 1999 und
2013 noch acht bis 26 Konzerte pro Jahr.
2.4 Aktuelle Tendenz für das Jahr 2020
Im laufenden Jahr 2020 ist die Zahl der Veranstaltungen weiter rückläufig. Dies ist zum großen Teil der Corona-Pandemie
geschuldet, da fast das ganze Jahr über keine größeren Veranstaltungen stattfinden konnten. Ebenso machen es Behörden
bereits seit einigen Jahren den Veranstaltern immer schwerer, ihre Konzerte durchzuführen – etwa mit hohen Sicherheitsauflagen
für die Örtlichkeiten oder mit kurzfristig auferlegten Verboten.
Im Februar 2016 wurde das beliebte Szenelokal „Hexenkessel“ bei Bad Wildbad von den Behörden wegen
erheblicher brandschutztechnischer Mängel geschlossen. In Mühlacker schloss die Stadtverwaltung im November 2019
die „Alte Lederfabrik“, wo zuvor bereits mehrfach rechtsextremistische Musik- und Vortragsveranstaltungen stattgefunden hatten.
Aufgrund erheblicher Mängel beim Brandschutz sprach die Stadt ein Nutzungsverbot aus. Das Risiko, auf hohen Kosten sitzenzubleiben,
wird zwischenzeitlich vielen Veranstaltern zu hoch.
2.5 Verbotene Veranstaltung in Ellwangen
Am 12. Oktober 2019 wurde eine rechtsextremistische Musikveranstaltung in Ellwangen behördlich verhindert. Zuvor
hatte das Landesamt für Verfassungsschutz in Zusammenarbeit mit der Polizei über ein im Internet beworbenes Konzert informiert.
Als Bands wurden „Sleipnir“ aus Nordrhein-Westfalen, „Gesta Bellica“ aus Italien, „Code 291“ aus
Schweden und „Mistreat“ aus Finnland angekündigt. Laut der vorliegenden Erkenntnisse gab es eindeutige Bezüge zu der
in Deutschland verbotenen Organisation „Blood & Honour“ (B&H). Auf dem Hintergrund des im Internet
veröffentlichten Flyers zum Konzert ist ein Plakat der ehemaligen britischen B&H-Band „Skrewdriver“ abgebildet.
Aufgrund des Termins war davon auszugehen, dass es sich um eine Gedenkveranstaltung für den verstorbenen B&H-Gründer Ian
Stuart Donaldson handelte („ISD-Memorial“). Dieser kam am 24. September 1993 auf der Anreise zu einem Konzert bei einem Unfall
ums Leben. Seither finden rund um sein Todesdatum rechtsextremistische Gedenkkonzerte in Europa statt.
Das Konzert sollte auf dem Gelände eines Jugendfreizeitvereins in Ellwangen stattfinden. Gegenüber dem Verein hatten die
Veranstalter angegeben, eine Geburtstagsfeier abhalten zu wollen, und den rechtsextremistischen Hintergrund verschwiegen. Die Ausrichter
rechneten mit etwa 200 bis 300 Konzertteilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet und dem europäischen Ausland. Die Stadt Ellwangen
erließ eine Verbotsverfügung, die dem Veranstalter am Vormittag des 12. Oktober 2019 übergeben wurde. Die Polizei war mit
einer großen Anzahl von Einsatzkräften vor Ort, um die Verbotsverfügung durchzusetzen.
2.6 Liederabende in Baden-Württemberg
Weitere rechtsextremistische Musikveranstaltungen neben Konzerten sind Liederabende, auch Balladenabende genannt. Im Gegensatz zu
Konzertveranstaltungen laufen diese meist in deutlich kleinerem und ruhigerem Rahmen ab und entfalten deshalb kaum Außenwirkung. Oft
bilden Liederabende das Rahmenprogramm für andere politisch-ideologische Szeneveranstaltungen wie Vorträge. Auch
rechtsextremistische Parteien wie die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD) oder „DIE RECHTE“
veranstalten regelmäßig Liederabende, um neue Mitglieder oder Wähler zu werben und Anhänger zu binden. Ein Beispiel aus
dem letzten Jahr ist der „Liederabend zum Tag der deutschen Einheit“ der NPD, der am 3. Oktober 2019 in
Sinsheim stattfand.
Die auftretenden Liedermacher sind meistens in der Szene als Mitglieder von Szenebands bekannt. Zahlenmäßig ist für
Baden-Württemberg eine leichte Zunahme der Liederabende zu vermerken. Im Jahr 2018 fanden landesweit zwölf, 2019 insgesamt 14
Liederabende statt. Im Vergleich zu Konzertveranstaltungen genießen Liederabende damit eine deutlich wachsende Beliebtheit. Dies mag
an einem geringeren Veranstaltungsrisiko und -aufwand für den Ausrichter liegen. Allerdings sind die durchschnittlichen Besucherzahlen
leicht rückläufig. 2017 und 2018 lagen sie bei 50 Personen, 2019 waren es noch 40.
2.7 Sonstige Musikveranstaltungen in Baden-Württemberg
Zu den sonstigen Musikveranstaltungen zählen solche, bei denen der musikalische Part nicht im Vordergrund steht. Dies können
Partei- oder Vortragsveranstaltungen sowie interne Szenefeiern etwa zu Geburtstagen sein, z. B. die Wintersonnwendfeier mit Liederabend der
NPD im Kraichgau am 21. Dezember 2019.
3. Fazit
Auch wenn sich die Musikstile verändern und die Zahlen von Konzerten und Besuchern in Baden-Württemberg rückläufig
sind, behält die Musik weiterhin einen hohen Stellenwert für die rechtsextremistische Szene in ganz Deutschland. Dabei darf die
Funktion der rechtsextremistischen Musik nicht isoliert in einem Bundesland betrachtet werden: Sie wird erst durch einen
überregionalen Blick deutlich, ebenso die großräumige Vernetzung der Szene. Bei der Verbreitung von rechtsextremistischem
Gedankengut, dem Einstieg in die Szene oder auch beim Ausbau der überregionalen Vernetzung mit anderen Rechtsextremisten spielt sie
eine nach wie vor bedeutende Rolle. Die Durchführung einer Veranstaltung mit hoher Besucherzahl verspricht zudem für den
Veranstalter einen nennenswerten Gewinn.